Österreich hat offenbar einen Anwärter auf einen Medizinnobelpreis. Der Datenanalysekonzern Clarivate Analytics hat den österreichischen Neurowissenschafter Gero Miesenböck (54) von der Uni Oxford unter die Favoriten für den diesjährigen Medizin-Nobelpreis gereiht.
Miesenböck wurde gemeinsam mit Ernst Bamberg und Karl Deisseroth für die Entwicklung der Optogenetik in die 19 Forscher umfassende „Nobel-Klasse“ aufgenommen, die Chancen auf die begehrte Auszeichnung haben. Die zu Clarivate gehörende „Web of Science Group“ stützt sich in ihrer Analyse auf wissenschaftliche Publikationen mit sehr hohen Zitierwerten. Bisher hätten 50 Angehörige dieses Zirkels einen Nobelpreis erhalten, 29 innerhalb von zwei Jahren nach der Aufnahme in die Liste.
Weil die von ihnen entwickelte Optogenetik eine Revolution in der Neurowissenschaft darstelle, die das Wissen über Parkinson, die Wiederherstellung des Sehvermögens, Sucht und Stimmungsstörungen erweitert habe, werden Miesenböck, Deisseroth (Stanford University) und Bamberg (Max Planck Institut für Biophysik in Frankfurt/Main) Chancen auf den Medizin-Nobelpreis eingeräumt. Miesenböck wurde am 15. Juli 1965 in Braunau am Inn (OÖ) geboren, studierte an der Uni Innsbruck Medizin. 1993 wurde er dort „sub auspiciis praesidentis“ promoviert. Anschließend ging er als Schrödinger-Stipendiat an das Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York. Von dort wechselte er an die Yale University und wurde 2007 als erster Nicht-Brite auf den Waynflete-Lehrstuhl für Physiologie an der Uni Oxford berufen.
Bereits 2010 kürte das Wissenschaftsmagazin „Nature“ die von ihm mitbegründete Optogenetik zur Methode des Jahres. Seit der Oberösterreicher entdeckt hat, dass er bei Fliegen die Aktivität von Gehirnzellen mit Licht ein- und ausschalten kann, steht er selbst im Rampenlicht. Vor genau 20 Jahren kam er auf die Idee, Licht nicht nur zur Beobachtung von biologischen Prozessen zu nutzen, sondern um diese zu kontrollieren. Bei der Optogenetik, einer Mischung aus optischer Technologie und Genetik, werden lichtsensitive Proteine über die DNA in Zellen eingeschleust – die dann durch einen Lichtstrahl gezielt und schnell aktiviert werden können. Dadurch kann der Forscher die Zellen – und damit die neuronalen Schaltkreise – kontrolliert „einschalten“.
So konnte er das Verhalten von Tieren steuern – etwa Fliegen optogenetisch in den Schlaf schicken und auch wieder aufwecken. Durch die Methode werden Mechanismen im Gehirn analysiert und erforscht, wie Entscheidungen entstehen, wie Schlaf und Appetit reguliert werden oder welche Faktoren Verhalten und Gedächtnis beeinflussen. In fernerer Zukunft hofft die Medizin dadurch auf neue Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten wie Parkinson, Epilepsie oder Angststörungen. Dieser Tage wurde auch bekannt, dass Miesenböck und drei weitere Forscher für die Entwicklung der Optogenetik den „Warren Alpert Foundation Prize 2019“ erhalten. Die Stiftung verleiht den mit in Summe 450.000 Euro dotierten, seit 1987 vergebenen Preis am 3. Oktober an der Harvard Medical School in Boston.
Die Nobelpreis-Woche beginnt am kommenden Montag (7. Oktober) mit der Bekanntgabe des oder der Medizin-Nobelpreisträger. Erhält Miesenböck den Preis, wäre er der sechste Österreicher, der in diesem Bereich zu Nobelpreis-Ehren kommt. Die bisherigen Nobelpreisträger: Robert Bárány (1914), Julius Wagner-Jauregg (1927), Karl Landsteiner (1930), Otto Loewi (1936) und Konrad Lorenz (1973). Mit bisher fünf Medizinnobelpreisträgern liegt Österreich auf Platz 8 im Staatenvergleich. (APA/rüm)