Das Bundeskanzleramt ist offenbar deutlich besser über den Stand der Impfentscheidungen informiert, als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt zu vermitteln versuchte. Das Kabinett entscheide wöchentlich mit, heißt es vom Großhandel. Aufregung gab es am Dienstag, weil Kurz auf EU-Ebene den Ankauf weiterer Impfstoffe blockiere. Der bestreitet das.
„Bis in die Spitzen der Republik wurde über einzelne Dosen diskutiert, was wann wohin kommt. Es ist alles auf höchster Ebene bekannt: Wir haben drei Mal pro Woche Sitzungen im Gesundheitsministerium – es sind auch die Kabinettschefs des Bundekanzlers dabei – wo permanent die aktuelle Situation durchgegangen wird.“ Mit dieser Aussage bei einer Veranstaltung des Gesundheitspolitischen Forums, ließ der Präsident des Österreichischen Großhandelsverbandes PHAGO, Andreas Windischbauer, nun aufhorchen. Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums bestätigt gegenüber dem Onlineportal RELATUS MED die Aussage – bis aus einen Punkt: „Drei Sitzungen pro Woche gab es zu Beginn der Impfungen. Jetzt sind es noch zwei Sitzungen.“ Zuletzt hatte sich Bundeskanzler Kurz überrascht gezeigt über zuwenige Impfstofflieferungen. Windischbauer berichtete nun allerdings, dass in den Sitzungen auch laufend über die aktuellen und künftigen Liefermengen und entsprechende Änderungen berichtet werde. Das sei für die Planung der Logistik wichtig. In der Verteilung selbst herrsche dann Föderalismus vor. Windischbauer: „Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.“ Wer was bekomme, bestimme dann pro Bundesland der jeweilige Impfkoordinator.
Aufregung gab es am Dienstag auch auf EU-Ebene über Forderungen des österreichischen Kanzlers. Österreich drohe den Kauf von 100 Millionen zusätzlichen Impfdosen von Biontech/Pfizer zu blockieren, wenn es nicht einen größeren Teil der Lieferung des Vakzines bekommt, berichtete das Internetportal Politico am Dienstag unter Berufung auf EU-Diplomaten aus drei Ländern. Das Bundeskanzleramt wies die Angaben zurück. Im Zentrum steht der Streit um die Neuverteilung von vorgezogenen zehn Millionen von Biontech/Pfizer unter den EU-Staaten. Diese zehn Millionen Dosen könnten im zweiten Quartal an die Europäische Union geliefert werden, heißt es in dem Bericht. Sie seien Teil einer Kaufoption eines zweiten Vertrages in Höhe von insgesamt 100 Millionen Dosen.
Über die Neuverteilung der vorgezogenen zehn Millionen Dosen herrscht nun Streit unter den EU-Ländern. Österreich und fünf weitere EU-Staaten (Tschechien, Slowenien, Bulgarien, Kroatien und Lettland) hatten im Vorfeld des Gipfels vor einer Woche eine ungleiche Verteilung der Impfstoffe in der EU beklagt. Nicht alle EU-Staaten hatten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden Mengen gekauft. Während beim Gipfel östliche Impf-Nachzügler auf Verständnis stießen, gab es wenig Sympathie für das relativ gut versorgte Österreich. Die Impfquote Österreichs liegt derzeit über dem EU-Durchschnitt. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) glaubt dennoch, das Österreich von der Neuverteilung profitieren werde. „Politico“ berichtete nun unter Berufung auf die EU-Diplomaten, dass Österreich im EU-Impfstoff-Lenkungsausschusses am Freitagvormittag erneut zusätzliche Dosen gefordert hätte. Österreich „würde die EU-Kommission daran hindern, ihre Option auf den größeren Kauf von 100 Millionen Dosen auszuüben, wenn Wien nicht seinen Willen durchsetzen könne“, hieß es weiter. „Der Politico-Bericht fußt auf Falschinformationen. Wir unterstützen den portugiesischen Ratsvorsitz dabei, eine rasche Lösung zu finden“, teilte das Bundeskanzleramt der APA mit. Man hoffe auf eine „rasche Lösung dieser Frage, damit die Kommission so schnell wie möglich den Vertrag über die zusätzlichen 100 Millionen Pfizer-Dosen vorantreiben kann.“ „Das ist nicht nur das Gegenteil von europäischer Kooperation, das ist eine verzweifelte Kamikaze-Aktion. Österreich isoliert sich damit völlig und gefährdet den EU-weiten Impferfolg“, kritisiert Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament. (rüm)