Das Nationale Impfgremium rät zu einer dritten Corona-Impfdosis. Zuerst sollen wieder vulnerable Gruppen geimpft werden. Doch viele Fragen sind offen. Die Bundesländer suchen eifrig neue Strukturen und noch gibt es keinen Zulassungsantrag der Hersteller.
Anfang Juli warnten die Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech von einem Rückgang der Schutzwirkung des gemeinsamen Coronavirus-Vakzins nach einem halben Jahr aus. Jetzt erklärten beide Unternehmen weitere Daten für die Zulassung einer Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus bei der US-Arzneimittelbehörde FDA einreichen zu wollen. Eine Phase-3-Studie ergab nach Angaben der Hersteller, dass eine Auffrischungsimpfung mit ihrem Vakzin „signifikante neutralisierende Antikörpertiter“ gegen das Coronavirus aufweise. In den kommenden Wochen sollten diese Daten auch bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und weiteren Behörden eingereicht werden, hieß es weiter. Das bestätigt auf RELATUS-Anfrage ein AGES-Sprecher. Wann die dritte Dosis dann zugelassen werden könnte, sei offen und hänge von der Qualität der Daten hab. Es könnte also noch Wochen dauern. Ähnliches gilt für das Corona-Vakzin von Johnson & Johnson. Laut einer Studie stärkt eine weitere Impfung nach Angaben des US-Pharmariesen deutlich die Immunabwehr, teilte der Konzern nun mit. Zulassungsantrag gibt es noch kleinen.
Das Problem dabei: die Zeit drängt. Die ersten Personen – alte Menschen, vulnerable Gruppen und Gesundheitspersonal – erhielten ihre Vollimmunisierung Ende Jänner. Das Nationale Impfgremium (NIG) geht in einer Empfehlung davon aus, dass sechs bis neun Monate nach der Vollimmunisierung ein dritter Stich erfolgen soll. Die Frist läuft also Ende Oktober ab. Angesichts der raschen Ausbreitung der besonders ansteckenden Delta-Variante und eines nachlassenden Schutzes erwägen immer mehr Staaten eine Auffrischungsimpfung. So auch das NIG. Weil aber die Zulassung dafür noch fehlt, handelt es sich um eine Off Label-Anwendung. Die Haftung ist im Impfschadensgesetz geregelt und dort ist allgemein von einer Covid-Impfung die Rede nicht aber von der Zahl der Stiche. Dennoch haften die impfenden Ärzte für Aufklärung, die es bei einer Off Label-Anwendung geben muss, bestätigt der Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer, Thomas Holzgruber, im RELATUS-Gespräch.
Die Schwierigkeit: Bund und Länder hinken deutlich nach. „Wir erhalten noch eine rechtsverbindliche Auskunft des Ministeriums – das hat uns der Gesundheitsminister zugesagt“, sagt Holzgruber. Auch die Vergütungsverhandlungen mit dem Ministerium für die dritte Impfung und die aufwändigere Aufklärung sind noch nicht abgeschlossen. „Wir urgieren das beim Ministerium bereits.“ Versprochen seien auch entsprechende Informationen für die Patienten. Was teilweise auch noch fehlt, sind Pläne der Bundesländer, wie die Impfungen organisiert werden sollen. Zum Teil wurden die Impfstraßen wieder abgebaut und müssen nun neu aufgebaut werden. Die Wiener Ärztekammer hat sich am Donnerstag in einer Aussendung auch besorgt gezeigt, dass von Verantwortlichen in der Politik und den Krankenanstaltenträgern noch keine dritte Impfung für das Gesundheitspersonal in Wiener Spitälern angekündigt worden ist. Mit der Organisation, die eine Durchimpfung in den Krankenhäusern ermögliche, sei „ehebaldigst“ zu beginnen, hieß es. Es wäre „fatal, wenn das Gesundheitspersonal nicht vor der vierten Welle mit der extrem ansteckenden Delta-Variante ausreichend geschützt ist und damit auch Patientinnen und Patienten gefährdet werden“, mahnte Gerald Gingold, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer.
Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) hat den Bundesländern offenbar bereits im Sommer angeboten, bei der Organisation zu helfen. Das wurde abgelehnt, bestätigt Obmann Andreas Huss. Man wollte nicht während der laufenden Impfphase die Pferde wechseln, sagt er im RELATUS-Gespräch. Die Länder wollen etablierte Wege weiterführen. Allerdings funktionieren diese nur zum Teil und müssen auch neu wieder aufgebaut werden, berichtet die „Kronen Zeitung“ vom Weiterwurschteln der Bundesländer. Dort kommt angesichts der vierten Welle nun betriebsame Hektik auf. In Wien werde die Impf-Infrastruktur bis auf weiteres so belassen, wie sie ist, betonte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Zusatz: Man habe natürlich befristete Verträge, aber etwa Anlaufstellen wie jene im Austria Center würden längere Zeit noch bestehen bleiben. Aktuell wird die Durchführung der Auffrischungsimpfung vorbereitet. Die ersten Corona-Auffrischungsimpfungen in Wien werden bereits im September durchgeführt. Der dritte Stich wird zunächst hochbetagten Personen verabreicht, die in Pflegewohnhäusern leben. Auch das Gesundheitspersonal soll ab diesem Zeitpunkt seine Auffrischung erhalten, kündigte Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Donnerstag an. Nötig sei dazu eine Abstimmung mit dem Bund, wie Ludwig betonte.
In Niederösterreich wird nächste Woche mit der Corona-Auffrischungsimpfung gestartet. Zunächst kommen ältere Menschen und Risikopatienten in Pflegeheimen und Kliniken zum Zug, wie LHStv. Stephan Pernkopf (ÖVP) und Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) am Donnerstag per Aussendung mitteilten. Ab Mitte September soll für alle ab 65 Jahren und Personen mit Vorerkrankungen die Möglichkeit auf den dritten Stich bestehen. Bei Bedarf könnten auch erneut Impfzentren eingerichtet werden, hieß es infolge einer Lagebesprechung mit Vertretern der Gemeinden, der Ärztekammer, Patientenanwaltschaft, Impfkoordination und Experten. Offen sind die Planungen noch in anderen Bundesländern. (rüm)