„Hat die ÖGK die Gesundheit von Patienten und Patientinnen aus den Augen verloren?“, fragt er Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM). Arbeitnehmer in den Kassen werfen den Arbeitgebern vor, Patienten und Ärzten zu misstrauen.
Die COVID-19-Pandemie hat vieles verändert, auch die telemedizinische Krankmeldung wurde dadurch möglich. „Sie ist eine sinnvolle Ergänzung zum Schutz der Patienten – zu jeder Zeit. Nun soll sie wieder abgeschafft werden. Medizinischen Grund gibt es dafür keinen“, teilt die Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin mit. Es sei unverständlich, dass die „elektronische Krankschreibung“ ab September nun wieder ausgesetzt sei. Außerdem sei die Formulierung nicht korrekt. „Nicht die elektronische Krankschreibung wird ausgesetzt, sondern die Möglichkeit der Krankschreibung ohne eine Ordination zu betreten – denn der Arztkontakt hat immer stattgefunden – wenn auch nur telefonisch oder per Videoordination.“
Telemedizin sie international als sinnvolle Methodik in der ärztlichen Tätigkeit anerkannt. „Während der ersten Phase der Pandemie haben wir ÄrztInnen gelernt, dieses Instrument einzusetzen. Wir kennen auch seine Grenzen nun sehr gut. Wir verwenden dieses Instrument aus guten Gründen: Wir können so bereits im Vorfeld eine mögliche Erkrankung an COVID-19 erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Wir können beurteilen, ob ein physischer Kontakt sinnvoll und nötig ist. So halten wir die Infektionsgefahr in den Praxen insgesamt niedrig, und stellen gleichzeitig die angemessene Versorgung sicher.“ Man wolle nicht Patienten aus den Praxen „fernhalten“, wie das die Kassenspitze formuliere, der physische Kontakt sei aber nicht immer nötig, und manchmal sogar schädlich.
Ärztekammepräsident Thomas Szekeres formulierte seine Kritik in seinem Blog so: „Erstens geht es um Vertrauen statt Misstrauen. In Zeiten von Corona und hoher Arbeitslosigkeit werden sich die Wenigsten aus Jux und Tollerei krankschreiben lassen. So viel Zutrauen muss man zu den Menschen haben. Zudem können Ärzte aus Gesprächs- oder Videoanalysen ganz gut abschätzen wie es ihren Patienten geht. Schließlich kennen sie die meisten.“ Ähnlich argumentiert auch ÖGK-Obmann und Arbeitnehmervertreter Andreas Huss: „Das war eine dringende Forderung der Dienstgebervertreter in der ÖGK, die das bereits mit 1.8. abschaffen wollten. Wir haben jetzt einmal auf 31.8. verlängern können.“ Er vermutet vor allem Missbrauchsbedenken – „sowohl von Arbeitnehmern als auch durch Ärzte, die so noch leichtfertiger krankschreiben könnten.“ Dabei seien die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen in der Coronazeit massiv zurückgegangen, sagt Huss.
Für Verwirrung sorgt indes Arbeitgebervertreter und Dachverbandsvizeobmann Peter Lehner. Er hat angekündigt, dass in seiner Versicherung – der SVS – „mit Juli die Teleordination startet. SVS-Vertragsärzte können via elektronische Kommunikationsmittel ihre Patienten beraten und dies entsprechend abrechnen“, erklärte SVS-Obmann Lehner. Die Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) und die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) hätten sich jüngst über den Teleordinationstarif geeinigt. Der Vertragsarzt kann für eine Ordination via Telefon oder andere elektronische Kommunikationsmittel 13 Euro abrechnen. Die Voraussetzung: Die Kommunikation erfolgt zwischen Patienten und Arzt und kann nicht etwa über eine Assistentin abgewickelt werden, da es sich bei der Teleordination um ein ärztliches Beratungsgespräch handelt.
Wenig später meldete die Austria Presse Agentur unter Berufung auf den Dachverband, dass die telefonische Krankmeldung nicht für die Versicherten der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) mit Ende August wieder eingestellt wird, sondern auch für Selbstständige und Bauern (SVS) sowie für Beamte, Eisenbahner und den Bergbau (BVAEB). Allerdings gebe es bei allen Krankenversicherungsträgern die Möglichkeit, dass die telefonische Krankmeldung befristet wieder eingeführt werden kann, sollten sich die Zahlen der mit dem Coronavirus Infizierten wieder deutlich erhöhen. Warum man einerseits die telefonische Krankmeldung wieder einstellt, auf der anderen Seite aber die Telemedizin forciere, erkläre sich daraus, dass für die Krankmeldung eine ärztliche Untersuchung erforderlich ist. Und bei der Telemedizin handelt es sich um ein Beratungsgespräch ohne Untersuchung. (red/APA)