Das Nachrichtenportal RELATUS MED nutzt die Sommerpause für Interviews mit den Gesundheitssprechern der Parlamentsparteien. Den Auftakt macht NEOS-Mandatar Gerald Loacker. Er ortet unter anderem eine „Entfremdung zwischen Hausärzten und ihren Kassen“.
Welche Reformen muss der Herbst im Gesundheitsbereich bringen? Im Herbst braucht es vorrangig Corona-bezogene Reformen auf der Versorgungsebene. Dazu zählen etwa sämtliche Digitalisierungsschritte, die helfen, die Patientenkontakte mit dem Gesundheitssystem soweit wie möglich abseits der Ordinationen zu gestalten. Eine visuelle Komponente für 1450 (Fotos oder Videokontakt) würde ebenso helfen wie Videoordination. Darüber braucht es endlich einen besseren Datenaustausch zwischen den verschiedenen Gesundheitsbereichen (SV, Länder, Gesundheitsministerium) und eine bessere Einbindung der Gesundheitswissenschaft mit adäquatem Zugang zu anonymisierten Gesundheitsdaten für Forschungszwecke. Auch die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung muss deutlich gesteigert werden. Statt Pressekonferenzen muss hier mehr Information und Wissensvermittlung erfolgen. Wenn diese Wissensvermittlung über die Gesundheitsberufe erfolgt, gehört das natürlich auch angemessen vergütet.
Was denken Sie über die Corona-Gefahr wirklich? Die Regierung hat bis gegen Ende März sehr vieles richtig gemacht, aber sie hat die mit dem Lockdown eingekaufte Zeit nicht genützt, um beispielsweise besseres Datenmaterial zu bekommen oder andere Verbesserungen vorzunehmen. Zudem basieren die Maßnahmen der Regierung mit fortschreitendem Zeitverlauf zunehmend auf spontanen Aussagen in Pressekonferenzen und weniger auf wissenschaftlicher Evidenz. Hier muss sich die Regierung deutlich professioneller aufstellen, sonst erntet sie Verwirrung und Unverständnis bei der Bevölkerung.
Wie wirkt sich Corona auf die Hausärzte aus? Das hängt davon ab, wie der einzelne Hausarzt mit der Situation umgegangen ist. Wer offengehalten hat, hat geringere Einkommenseinbußen zu verzeichnen als jene Kollegen, die ihre Praxis vorübergehend geschlossen hatten. Die seit langem bestehende Entfremdung zwischen Hausärzten und ihren Kassen sowie der Ärztekammer ist stark spürbar geworden.
Wie wirkt sich Corona auf die Spitäler aus? Das sehr lange Herunterfahren des Spitalswesens, um Raum für COVID-19-Patienten zu schaffen, hat zu absurden Situationen geführt. Hochqualifizierte Kräfte sind in großer Zahl zur Untätigkeit verdammt gewesen. Angefallene Minusstunden für nicht erbrachte Arbeitszeit haben die Steuerzahler zu großen Teilen gegenleistungsfrei bezahlt. Gleichzeitig sind andere Krankheiten als COVID-19 weniger oder unbehandelt geblieben: Der Rückgang der Herzinfarkte ist sicher nicht zur Gänze auf Home office zurückzuführen. Und die Rückgänge der Zahl an Chemotherapien, Behandlungen von Schlaganfällen, aber auch kleineren Leiden wie Makula-Ablösungen oder Bandscheibenproblemen werden wir erst in einigen Wochen wissen. Für die Zukunft bedeutet die Coronakrise sicher (zu unrecht) ein Ende der Diskussion über die hohe Zahl an Spitalsbetten in Österreich.
Kann die zuletzt diskutierte Wirkstoffverschreibung Lieferengpässe lösen? Hier haben Einflüsterer dem Minister einen Zusammenhang eingeredet, der wohl nur in einzelnen Fällen besteht. Beispielsweise existiert nicht für jedes Produkt, das einen Lieferengpass erlebt, ein wirkstoffgleiches Alternativprodukt, das auch verfügbar ist. Vielmehr geht es hier um die Frage, wer den Entscheidungsspielraum bekommen soll: Die Ärzte, die wie bisher ein Produkt verschreiben und unter mehreren Produkten desselben Wirkstoffs auswählen, oder die Apotheker, die künftig ein Rezept mit Wirkstoffverschreibung bekommen und nunmehr diese Auswahlmöglichkeit bekommen würden.
Wie stehen Sie zur aktuellen Impfdebatte und der Diskussion über die Grippeimpfungen im Herbst? Die Diskussion zeigt, wie wenig sich der Sozialminister bisher in seiner Karriere mit dem Thema Gesundheit beschäftigt hat. Wir haben noch nicht einmal einen Corona-Impfstoff und diskutieren bereits über die Impflicht. Und auch wenn ein Corona-Impfstoff irgendwann entwickelt sein wird, dauert es aufgrund der langen Produktionsvorlaufzeiten und begrenzter Kapazitäten lange, bis der Impfstoff auch verfügbar sein wird. Österreich bekommt mit seiner zersplitterten Versorgungsstruktur nicht einmal die Durchimpfung gegen Influenza in Richtung 20%. Auf Grund von Versäumnissen des Gesundheitsministers wird es bei einer zehnprozentigen Durchimpfungsrate bleiben. Ergänzend zu einer Grippe-Impfstrategie muss ein Corona-Impfstrategie erarbeitet werden, die vorab klärt, welchen Gruppen hier der Vorrang zukommen soll, sobald ein Impfstoff verfügbar ist.
Wie soll es weitergehen mit der Kassenreform? Weitere Digitalisierungsschritte sind in jedem Fall sinnvoll. Hier sollte der Reformschwung aus der COVID-Krise mitgenommen werden. Dadurch lassen sich die direkten Patientenkontakte reduzieren, was vor allem chronisch Kranken hilft. Des Weiteren muss eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Krankenkassen und den Ländern endlich umgesetzt werden. Ein mutiger und reformfreudiger Gesundheitsminister würde die neun Landesgesundheitsfonds in die Krankenkassen integrieren.
Das Interview führte Martin Rümmele
Das Interview mit ÖVP-Gesundheitssprecherin Gabriela Schwarz
Das Interview mit SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher
Das Interview mit FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak
Das Interview mit GRÜNE-Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner