Bruttowertschöpfung von fast 48 Milliarden Euro pro Jahr in Österreich. Sie ist damit etwa nach Ansicht der Wirtschaftskammer eine Boom-Branche und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Land, der entsprechend ausgebaut werden soll. Österreichs Ärztekammer-Präsidenten Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres machen solche Aussagen aber auch Sorgen. Er fürchtet nämlich, dass die Wachstumsdynamik und Konjunkturunabhängigkeit des Gesundheitssektors zunehmend private Unternehmen locken. „Wir beobachten seit einiger Zeit, dass immer mehr Firmen und Pensionsfonds versuchen, im Bereich der Gesundheitsversorgung Geld zu investieren. Das ist für sie risikoloser als andere Bereiche, und aus dieser Sicht kann ich das auch verstehen“, sagt Szekeres. Weltweit hätten im Jahr 2017 Privat-Equity-Fonds 43 Milliarden US-Dollar in den Gesund-heitssektor investiert – der höchste Wert seit 2007. Und dabei seien nicht nur Pharmaunternehmen im Fokus, sondern zunehmend Spitäler, Pflegeheime, Rehazentren und Arztpraxen. Diese Entwicklung könnte zu einer Zunahme der Privatmedizin führen, gibt sich Szekeres besorgt.
„Private Unternehmen sind in der Regel erwerbsmäßig orientiert. Das bedeutet aber keinen Widerspruch zu einer hohen Qualität in der Versorgung der Patienten“, hält dem Dr. Ernst Wastler, der Vorstandsvorsitzende des privaten Gesundheitsdienstleisters Vamed AG, entgegen. Am Rande der Bilanzpräsentation des Konzernes betonte er allerdings auf Nachfrage, dass man auch integrierte Versorgungszentren machen könne, wenn die Politik das wünsche. „Wir tun das ja auch schon in anderen Ländern.“ Das mehrheitlich dem deutschen Fresenius-Konzern gehörende Unternehmen hat im Vorjahr 38 Post-Akut-Einrichtungen vom deutschen Schwesterunternehmen, dem privaten Spitalskonzern Helios übernommen und führt auch in Österreich bereits Rehabilitationseinrichtungen meist als Public-Partnership-Projekte (PPP). Insgesamt ist der Konzern auf die Planung, den Bau, aber auch die Betriebsführung von Gesundheitseinrichtungen spezialisiert und beschäftigt nach eigenen Angaben in seinen Einrichtungen rund 10.000 Ärzte, Therapeuten und Pfleger. Ob man im Fall der kommenden Primärversorgungseinrichtungen solche auch managen wolle, antwortet Wastler, dass man sich den neuen Gesamtvertrag für PVE natürlich ansehen werde. „Wir führen medizinische Versorgungszentren in Deutschland. Wir managen Gesundheitseinrichtungen, seit es uns gibt.“
Fast zeitgleich gab der Privatversicherungsriese Uniqa bekannt, dass das Angebot „Akut-versorgt“, das man in eigenen Privatkliniken in Wien und Salzburg anbiete, künftig auch auf Graz ausweiten werde. Uniqa-Versicherte, die bereits eine Sonder-klasse- oder ambulante private Krankenversicherung haben, können damit einen Arzt in der Privatklinik aufsuchen. Die rege Nachfrage habe gezeigt, dass sich viele Ver-sicherte diesen Zusatzservice in der Nacht und am Wochenende wünschen, teilte der Konzern mit. Parallel suchen private Krankenversicherungen derzeit sehr zum Miss-fallen der Ärztekammer niedergelassene Ärzte, die bereit sind, für festgelegte Privattarife Partnerärzte zu werden. Man bekomme so zwar Privatpatienten zugewiesen, habe aber keine Möglichkeit der Preisgestaltung, kritisiert Szekeres.
Er fürchtet ganz generell einen wachsen-den Einfluss internationaler Großkonzerne im Gesundheitswesen und einen Trend zur Privatisierung von Einrichtun-gen und der Versorgung. Es gebe zahlreiche Beispiele – auch in Österreich –, die zeigen würden, dass das Gesundheitswesen nicht zu einem profitzentrierten Gesundheitsmarkt werden dürfe. Das Beispiel der medizinischen Versorgungszentren in Deutschland zeige, dass diese letztlich in der Hand von großen Unternehmen gelandet seien. Deshalb habe man auch Lösungen für die heimischen PVE gesucht, damit diese in der Hand der Ärzte sind, betonte Szekeres. „Privatisierungstendenzen haben den Nachteil, dass Ärzte in Abhängigkeit der Eigentümer kommen, deren Ziel die Erwirtschaftung von Gewinnen ist und nicht primär die Patientenversorgung. Wir fürchten, dass diese Investoren auch die Art der Behandlungen vorgeben.“ Man wolle stattdessen alles tun, um den freien und weisungsfreien Arztberuf zu erhalten.
Szekeres verwies darauf, dass nicht nur in den USA, Deutschland oder der Schweiz private Investoren Interesse an Ärztezentren haben, sondern auch in Österreich eine solche Entwicklung zu beobachten sei. Interessant seien auch die Radiologie und Labormedizin, wo etwa von Österreich ausgehend auch der Laborriese Synlab (ehemals Futurelab) entstanden sei, der heute inter-national 19.000 Beschäftigte habe. Auch im Apothekenbereich gebe es ein wachsendes Interesse privater Investoren. Der Schweizer Lebensmittelriese Migros betreibe in-zwischen an mehr als 40 Standorten ambulante Gesundheitszentren und Apotheken. Der Süßwarenproduzent Mars wiederum sei über seine Tierfuttersparte Weltmarktführer bei Tierkliniken und betreibt über AniCura auch schon an fünf Standorten in Österreich Tierkliniken.
Auf die Frage, ob die türkis-blaue Koaliti-on solche Tendenzen begünstige, meinte der Ärztekammer-Präsident, dass diese Regierung vielleicht „mehr Verständnis für private Unternehmen“ habe. Er mahnt deshalb ein, dass vor allem die neuen Primärversorgungszentren im ärztlichen Eigentum bleiben müssten, wenn diese in Kliniken umgewandelt würden, dann könne sich jeder einkaufen. Der Ärztekammer-Präsident drängte auch darauf, das österreichische Sozialversicherungssystem als öffentlich zugängliches System zu er-halten. Er gestand zu, dass dafür manche Ärzte damit auch auf ein höheres Einkommen verzichten müssten, aber: „Wir sind nicht nur geldgierig, wie man uns manch-mal vorwirft, sondern sozial eingestellt, zumindest die Mehrheit von uns. Es geht uns um das Wohl der Patienten.“