Überwiegend skeptisch bis ablehnend sind die ersten Reaktionen auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofes ausgefallen, die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord aufzuheben. Für die Ärztekammer ist diese Entscheidung „bedauerlich“.
Die Freiheit, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst zu bestimmen, sei ein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 bestätigtes Grundrecht. Bisher sei es in Österreich ignoriert worden, hieß es in einer Aussendung des Schweizer Vereins Dignitas. Der Sterbehilfe-Verein hatte die von Anwalt Wolfram Proksch namens vierer Antragsteller – drei Betroffene und ein Arzt – eingebrachte Verfassungsklage initiiert. „Diese Entscheidung ist bedauerlich“, kommentierte Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, die Verkündung des Verfassungsgerichtshofes, wonach der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ gegen das Recht auf Selbstbestimmung verstoße.
„Die Österreichische Ärztekammer hat sich stets klar gegen aktive Sterbehilfe positioniert“, sagte Szekeres. „Es droht die Gefahr, dass ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen. Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass, wie in Deutschland und der Schweiz, private Unternehmen die Sterbehilfe als Geschäftsmodell entdecken. Die geschäftsorientierte Sterbehilfe ist aus medizin-ethischen Gründen kategorisch abzulehnen“, sagte Szekeres. Sinnvoller wäre es, die Palliativmedizin auszubauen und die Kommunikation rund um die Patientenverfügung zu optimieren. Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer betonte: „Keine Ärztin und kein Arzt darf bei diesem sensiblen Thema dazu gezwungen werden, gegen ihr oder sein Gewissen zu handeln und zur Tötung eines Menschen beizutragen. Auch dürfen keinesfalls einer Ärztin oder einem Arzt dadurch irgendwelche Nachteile entstehen, wenn sie oder er nicht an Sterbehilfe beteiligt sein will. Die individuelle Einschätzung steht für die Österreichische Ärztekammer außer Frage.“
Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Notfallmedizin (ÖGARI) zeigte sich erleichtert, dass Tötung auf Verlangen und Verleitung zum Suizid weiterhin strafbar bleiben. „Mit großer Sorge“ sieht Präsident Klaus Markstaller aber die Entkriminalisierung der Beihilfe zum Selbstmord. Er pochte auf eine sorgfältige Neuregelung unter Einbeziehung der Experten, die einen Missbrauch ausschließt – und gleichzeitig eine flächendeckende effektive schmerz- und palliativmedizinische Versorgung, „um allen Menschen auch andere Optionen eines Sterbens in Würde zugänglich zu machen, als ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen“. Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) verlangte ebenfalls klare Auflagen – inklusive einem strikten Verbot kommerzieller Anbieter. Besonders schutzbedürftige Menschen mit schweren Erkrankungen dürften nicht der Gefahr ausgesetzt werden, „dass bei der existenziellen Entscheidung über das Lebensende sozialer Druck und Rechtfertigungsnotwendigkeiten den freien Willen beeinträchtigen“. (red/APA)