Bei Kindern und Jugendlichen ist die Suizidalität massiv gestiegen. Fachleute fordern eine Verbesserung der medizinischen Versorgung.
Expert:innen der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) schlagen angesichts neuer Zahlen zur Suizidalität bei jungen Menschen Alarm. Daten aus dem klinischen Bereich belegen seit 2018 eine Steigerung bei suizidalen Gedanken und Handlungen bei unter 18-Jährigen um das Dreifache. Die ÖGKJP forderte bei einer Online-Pressekonferenz nun mehr Präventionsmaßnahmen. Vor allem die medizinische Versorgung gehört dringend verbessert. „Das Thema der zunehmenden Suizidversuche, die wir sehen, beschäftigt uns sehr im klinischen Alltag“, sagte Paul Plener, Klinikvorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien und Präsident der ÖGKJP. Laut Studien würde gut ein Drittel der Jugendlichen einmalig darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen. Es sei laut Plener auch das Alter, wo sich zum ersten Mal Suizidversuche manifestieren.
Der Versuch stelle „eines der Hauptrisikofaktoren für spätere Suizide“ dar, sagte der Mediziner. „Und wenn diese Zahl steigt, dann müssen wir dringend darüber nachdenken, wie wir Suizidprävention besser gestalten, damit das, was wir momentan sehen – einen Anstieg der Suizidversuche in den Kliniken, aber auch im niedergelassenen Bereich – eben nicht zu einem Anstieg der Suizide führt“, bekräftigte Plener. In seiner Klinik im Wiener AKH hat sich die Zahl der Jugendlichen, die sich nach einem Suizidversuch gemeldet haben von 67 (2019) auf 200 (2022) gesteigert. Suizidgedanken finden sich bei mehr als der Hälfte (53 Prozent) der Jugendlichen, die sich in eine sogenannte Akutvorstellung begeben.
„Besonders erschreckend war für mich die Erfahrung, dass immer jüngere Kinder, auch schon im Volksschul- und eines sogar im Kindergartenalter über Suizidgedanken und teilweise konkrete Suizidpläne gesprochen haben. Sie waren einfach in einer verzweifelten Lage und wollten so nicht weiterleben“, berichtete auch Ulrike Altendorfer-Kling, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Salzburg und Generalsekretärin der ÖGKJP. Diese Kinder würden kein konkretes Konzept haben und nichts über diese Endgültigkeit dieser Entscheidung wissen, aber haben das – vermutlich auch innerhalb der Familie – als „Problemlösungsstrategie“ vorgelebt bekommen. Die Betroffenen und deren Angehörige würden aus Angst vor Stigmatisierung Hilfe oft zu spät in Anspruch nehmen.
Ähnlich auch die Situation in der Steiermark: Am LKH Süd II in Graz wurden 103 Kinder und Jugendliche im Jahr 2018 aufgrund von einer suizidalen Krise aufgenommen, 2022 waren es schon 310 Patient:innen, berichtete Isabel Böge, Abteilungsleiterin an der Klinischen Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der MedUni Graz sowie Primaria der Abteilung für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am LKH Süd und Vizepräsidentin der ÖGKJP. Dabei nahmen akute Belastungen und psychische Krisen als zugrunde liegende Diagnosen deutlich zu, während die Depression gleichbleibend hoch vorhanden war.
Diese Zahlen machen deutlich, dass die Bemühungen im Rahmen der Suizidprävention in Österreich drastisch und schnell erhöht werden müssen. Die ÖGKJP forderte erneut einen kassenfinanzierten Zugang zu kinder- und jugendpsychiatrisch-fachärztlicher, psychotherapeutischer und psychologischer Hilfe für alle von psychischen Erkrankungen betroffenen Minderjährigen. „Wir haben zu wenig stationäre Kapazitäten, was auch mit einem Fachkräftemangel ein stückweit zu tun hat“, sagte Plener. Österreichweit sind von etwa 800 Betten, die auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie laut österreichischem Strukturplan Gesundheit verfügbar sein sollten, nur 432 vorhanden, sagte der Mediziner. „Wir sind weit entfernt von einer guten Versorgung.“ Im Burgenland etwa gäbe es kein einziges kinder- und jugendpsychiatrisches Bett.
Service: Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Rat auf Draht für Kinder und Jugendliche unter der Telefonnummer 147, die Telefonseelsorge ist unter 142 telefonisch erreichbar und die Ö3 Kummernummer unter 116 123. Informationen zur ÖGKJP unter www.oegkjp.at.