Das Gesundheitswesen zittert: Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien wird die Forderung nach Abschiebungen laut. Das würde der ärztlichen Versorgung und Pflege und der Wirtschaft massiv schaden.
Kaum wurde Anfang Dezember bekannt, dass das grausame Assad-Regime in Syrien gestürzt wurde, verlautbarten vor allem konservative und rechte Politiker:innen in Europa, wie auch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), man müsse Asylverfahren aussetzen und bestehende -bescheide prüfen. Übersehen wurden dabei jene vertriebenen Syrer:innen, die bereits in Österreich arbeiten und Steuern zahlen – viele davon im Gesundheits- und Sozialwesen. Laut Integrationsfonds arbeiten rund 4.000 Menschen aus Syrien in diesem Sektor, laut Ärztekammer sind 102 davon Ärzt:innen. Ohne sie würden der Personalmangel weiter verstärkt, aber auch Arbeitsplätze vernichtet werden. RELATUS MED hat darüber mit dem diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger Mounzer Al Haji gesprochen, der 2013 aus Syrien flüchtete, wo er die Pflegeausbildung wegen des Krieges abbrechen musste.
Seit 2014 ist Al Haji in Österreich, wo er die Ausbildung zum diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger komplett neu machen musste. Mittlerweile ist er Geschäftsführer seiner eigenen Firma für mobile Pflege („Pflege mit Mo GmbH“) – mit 24 Klient:innen und neun Mitarbeiter:innen – betreut und pflegt in Linz und Lind Land und arbeitet zusammen mit dem Kepler Universitätsklinikum, den Elisabethinen Linz und der Sozialberatungsstelle „Kompass“. „Assad ist ein Kriegsverbrecher, jede Familie in Syrien hat wegen ihm jemanden verloren. Er hat getötet und gefoltert, jetzt ist er endlich weg“, zeigt sich Al Haji erleichtert. Von den Äußerungen und Forderungen westlicher Politiker, Abschiebungen anzutreiben, hält er wenig. „Warum sollten Leute, die hier arbeiten und Steuern zahlen, wegmüssen? Warum?“
Es sei außerdem noch viel zu früh, die politische Lage in Syrien noch zu instabil. Man müsse erst einmal abwarten, wer als nächstes an die Macht kommt. Die Rebellengruppe, die Assad zum Sturz brachte, wurde in den USA und anderen westlichen Ländern zuerst als Terroristengruppe und Islamisten eingestuft. Nun rudern Regierungen zurück, die Einstufung werde geprüft. Laut Al Haji sind die Rebellen „Zivilist:innen, die sich gegen das Regime auflehnten“. Noch dazu bombardiert Israel derzeit zahlreiche Ziele in Syrien, um Waffenlager zu zerstören, heißt es von offizieller Stelle in Israel. „Das wird noch mindestens ein bis zwei Jahre dauern, bis wir wissen, ob die Lage stabil ist und bleibt“, meinte Al Haji, der selbst seit 2022 die österreichische Staatsbürgerschaft hat. Er muss sich also keine Sorgen vor einer Abschiebung machen, setzt sich aber stark für jene syrischen Geflüchtete und Asylwerbende ein, die Rückführungen betreffen könnten.
Nehammer sprach bereits kurz nach Bekanntgabe der Entmachtung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad von Rückführungen. Im Rahmen eines EU-Gipfels befürwortete Nehammer nun eine gemeinsame europäische „Syrien-Strategie“. (kagr)