Das Gesundheitswesen ist in seinen Strukturen nicht auf Entwicklungen der modernen Medizin vorbereitet. Die Folgen werden tiefgreifender als der aktuelle Personalmangel.
Novo Nordisk und Eli Lilly punkten gerade mit Diabetesmittel, die als Dauermedikation gegen die „Volkskrankheit“ Übergewicht eingesetzt werden und bringen mit Milliardenumsätzen und rosigen Zukunftsperspektiven die Börsen zum jubeln. Roche meldet einen Forschungserfolg mit einer „Spritze gegen Bluthochdruck“. Forscher:innen der Universität Exeter (England) präsentieren beim British Science Festival ein Gerät, mit dessen Hilfe man sich selbst auf verschiedene Erkrankungen wie Long Covid, Diabetes oder Alzheimer testen kann. Auch andere Unternehmen wollen Alzheimertests auf den Markt bringen. Die Liste aktueller Entwicklungen lässt sich weiter fortsetzen.
Die Folgen der Gensequenzierung und der mRNA-Technologie auf der einen Seite und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz auf der anderen werden in den kommenden Monaten und Jahren die Medizin massiv verändern und zahlreiche Durchbrüche bringen. Gleichzeitig ist das Gesundheitswesen in seinen Strukturen nicht auf diese Entwicklungen vorbereitet. Nehmen etwa Selbsttests zu, werden die Menschen auch Versorgung und Therapie einfordern. Das braucht andere Strukturen.
Doch anstatt darüber nachzudenken und mittel- und langfristige Lösungen mit Visionen zu entwickeln, beschäftigen sich Stakeholder und Gesundheitspolitik mit sich selbst, streiten intern und gegeneinander und versuchen mit alten Rezepten die aktuellen Personalengpässe zu lösen. Wir kämpfen seit Ende der 1990er Jahre mit den Folgen der dualen Finanzierung im System, dem Föderalismus, seit Monaten mit Lieferengpässen bei Arzneimitteln und Medizinprodukten und setzen dabei immer wieder auf die gleichen Rezepte. Statt der Optimierung des Personal- und Ressourceneinsatzes, der Ökonomisierung der Systeme und der Industrialisierung der Medizin sind neue Wege gefragt. Die Menschen, die in den Systemen arbeiten und die Menschen, die versorgt werden, gehören wieder ins Zentrum der Überlegungen gestellt. (rüm)