„Unser größtes Problem ist die Zersplitterung des Systems“

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Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger (IG Pflege) erklärt, warum es eine General Nurse und einen Fokus auf Kinder braucht.

Warum braucht es in Österreich eine Interessengemeinschaft für pflegende Angehörige? Was fehlt ist ein Versorgungspfad. Die pflegenden Angehörigen finden sich in der Bürokratie nicht (mehr) zurecht, wissen nicht, wie man Anträge erstellt. Es braucht in diesem Bereich ganz einfach Personen, die pflegende Angehörige begleiten und für Rat zur Verfügung stehen. Und ganz wichtig: die die Bedürfnisse auf gesellschaftlicher und politischer Ebene vertreten. Einerseits fehlt es oft an Anerkennung, andererseits am Geld. Nicht jede:r kann sich heute eine gute Pflege leisten. Da bin ich als Präsidentin der IG Pflege die Stimme für rund eine Million Menschen.

Wo liegen Ihrer Erfahrung nach die Hauptprobleme im Gesundheitswesen? Eines der größten Probleme ist die totale Zersplitterung des Gesundheits- und Pflegewesens. Es gibt Hunderttausend verschiedene Zuständigkeiten. Früher war das meiner Meinung nach übersichtlicher, vor allem in der Pflege. Da gab es ausgebildete Pflegekräfte, Heimhilfen und die sozialen Dienste, und das war‘s. Heute hast du allein in der professionellen Pflege viele unterschiedliche Berufe, die unterschiedliche Tätigkeiten ausführen (dürfen). Was heißt das für Betroffene? Sie wissen nicht, warum manche Pflegekräfte etwas machen dürfen und andere nicht. Gerade 24-Stunden-Betreuer:innen bringt das in eine heikle Situation. Als Beschäftigte nach dem Hausbetreuungsgesetz haben sie eigentlich nichts mit dem Gesundheitswesen zu tun. Sie dürfen keine Pflegetätigkeiten ausführen, was aber immer wieder von Kund:innen erwartet wird, weil sie es einfach nicht besser wissen. An dem Beispiel zeigen sich gleich zwei große Probleme unseres Gesundheitswesens: die Zersplitterung und das fehlende Wissen, die fehlende Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft.

Fangen wir bei der Zersplitterung an, was kann man dagegen tun? Ich finde, es braucht eine General Nurse, eine Pflegekraft, die das kann, was Allgemeinmedziner:innen auch machen – einen ersten Blick auf die Situation werfen und überlegen, was braucht der Mensch, und dann weiterverweisen. Es gibt zwar das Case-und-Care-Management, aber das ist etwas anderes. Es braucht in der Pflege jemanden, der oder die den Überblick hat. Im stationären Bereich funktioniert das, glaube ich, schon ganz gut über die Erstversorgungsambulanzen. Da wird auch erstmal geschaut, was braucht die Person, wie kann man jetzt helfen und wohin muss sie dann weiter – und zwar ohne sie durch das ganze System zu schleusen und hin und her zu schicken.

Und wo sollte man ansetzen, um die Gesundheitskompetenz zu fördern? Viele Menschen haben keinen oder nur einen sehr beschränkten Zugang zum Thema Gesundheit. Was bedeutet Gesundheit, was passiert, wenn ich mich nicht damit auseinandersetze und so weiter – diese Dinge wissen viele nicht. Hier muss man in der Bildung ansetzen, und zwar am besten gleich bei den Kindern und Jugendlichen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber es ist notwendig. Damit Gesundheit gelernt wird, muss man es so erklären, dass Kinder und Jugendliche verstehen, dass sie selbst davon betroffen sind, dass Vorsorge Auswirkungen auf ihr Leben hat. Mit abstrakten Erklärungen zu Prävention und Gesundheit kommt man nicht weit. Und man muss ihnen ihre Fragen beantworten, egal worum es geht. Dass das wichtig ist, sehe ich auch in meiner Rolle bei der IG Pflege.

Welche Initiativen schlagen Sie vor? Ich finde früher war die Gesundheitsbildung besser aufgestellt. In meiner Kindheit und Jugend gab es ein perfektes System für die Gesundheitsförderung von jungen Leuten. In Wien gab es einzelne Kinderambulanzen und dort wurde man von Kopf bis Fuß durchgecheckt, das wurde von der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Da wurde genau geschaut, wie es um die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen steht. Und: Es wurde auch erklärt, warum diese Check-ups wichtig sind, warum zum Beispiel eine Hüfte gerade sein muss. Das fehlt heutzutage irgendwie finde ich. Mir kommt vor, es gibt weniger (junge) Menschen, die sich wirklich gut um ihre eigene Gesundheit kümmern können. (Das Interview führe Katrin Grabner.)

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Jetzt reden wir! Wie Frauen das Gesundheitssystem neu denken“, erschienen im Ampuls-Verlag; ISBN: 978-3-9505385-3-3; 180 Seiten, 29,90 Euro