Unterversorgt: Kinder und Jugendliche mit Diabetes

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Während sich Bund, Länder und Kassen feiern, weil es mehr Geld für Gesundheitswesen gibt, weist die Österreichische Diabetes Gesellschaft auf die prekäre Versorgungslage für Kinder und Jugendliche hin.

Wir schreiben das Jahr 2024 und die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) weist auf eine prekäre Versorgungslage für Kinder und Jugendliche hin. Die erdrückende Kritik bei einem Pressegespräch: Es gibt zu wenige Personalstellen für die multidisziplinäre Betreuung in den Spezialzentren mit Ambulanz. Die zusätzlich erforderliche mobile Betreuung ist nur in einem Bundesland vollständig umgesetzt, die ambulante Versorgung dürftig. Eine leitlinienkonforme Betreuung ist nicht möglich. Gleichzeitig steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes Typ 1 seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Die Folge: ist die Versorgung nicht optimal, verliert ein Kind 16 Jahre an Lebenserwartung. Gerade bei Kindern, deren Betreuung und langfristige gesunde Zukunft von dieser Versorgung abhängt, dürfe nicht gespart werden, sagten die Fachleute am Wochenende.

Diabetes mellitus Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, die zu einem Insulinmangel führt. Sie betrifft häufig Kinder und Jugendliche und sollte nicht mit der Volkskrankheit Diabetes mellitus Typ 2 verwechselt werden, erklärte die ÖDG. In Österreich sind rund 3.500 junge Menschen bis 14 Jahre von der Erkrankung betroffen. Peter Fasching, Präsident der ÖDG und Abteilungsvorstand der 5. Medizinischen Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie der Klinik Ottakring der Stadt Wien, erklärt: „Die jungen Menschen müssen mit einer Insulintherapie umgehen lernen, die sie ihr gesamtes Leben begleiten wird. Das bedeutet für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für deren gesamte Familie, dass sie ein komplexes Selbstmanagement in ihr Leben integrieren müssen. Dafür brauchen diese Familien alle Unterstützung, die sie bekommen können und die Österreichische Diabetes Gesellschaft ruft alle Entscheider im Gesundheitswesen dazu auf, an dieser Unterstützung mitzuwirken.“

Birgit Rami-Merhar von der Medizinischen Universität Wien, leitet die Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche im AKH und ergänzt: „Es ist wichtig Kindern und Jugendlichen einen guten Start in ihr weiteres Leben zu ermöglichen. Für Kinder mit Diabetes mellitus Typ 1 bedeutet dies: Dass ihre Blutzuckerwerte möglichst immer im Normbereich liegen sollten. Ein wichtiger Zielwert ist der Langzeitzuckerwert HbA1c, der unter 7 % liegen sollte. Die Zeit im Zielbereich (Time in Range = TIR) ist ein spezifischer Parameter der kontinuierlichen Glukosemessung. Dieser sollte bei zumindest >70% liegen. Diese Werte sind entscheidend, um Spätkomplikationen zu vermeiden und Akutkomplikationen vorzubeugen. Leider erreichen wir diese Zielwerte heute nicht und damit bleibt das Kindesalter bei der Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 momentan noch ein Risikofaktor für eine verkürzte Lebenserwartung.“

Rami-Merhar, die eine Umfrage unter allen 34 österreichischen, pädiatrischen Diabeteszentren, die Kinder und Jugendliche betreuen, durchgeführt hat, betont: „Diabetes mellitus Typ 1 ist eine komplexe Erkrankung und es bedarf multidisziplinärer Teams, um diese gut zu managen. In der Fachliteratur gibt es klare Zahlen wie ein multidisziplinäres Team auszusehen hat, das 100 Kinder und Jugendliche mit Diabetes betreut. Es besteht aus 1 Kinderärzt:in mit Diabetologischer Zusatzausbildung, 1 Diabetesberater:in, 0,3 Vollzeitäquivalente für Psychologie sowie Kinderkrankenpflege, einer halben Stelle für eine Fachkraft für Ernährung und 20% einer sozialarbeiterischen Vollzeitstelle, sowie einer administrativen Unterstützung. Diese Zahlen erreichen wir in keinem einzigen der 34 pädiatrischen Diabeteszentren in Österreich. In unserer Umfrage unter den Zentren zeigt sich sogar, dass in fast allen Fällen nicht einmal die Hälfte der – laut Leitlinien – notwendigen Stellen zur Verfügung stehen. Ich möchte betonen, dass es dabei nicht um den generellen Personalmangel im Gesundheitsbereich geht, sondern einfach die Stellen nie geschaffen wurden.“

Ein ganz besonderes Nadelöhr ist die mobile Betreuung, die in Österreich bis jetzt nur in Wien in einen Regelbetrieb übergeführt ist. In der Steiermark gibt es aktuell ein Pilotprojekt DiAB-Kids, das aber trotz hervorragender Evaluationsergebnisse bisher nicht regelfinanziert wird. „Die mobile Betreuung erfüllt eine essenzielle Rolle in der Versorgung von Kindern mit Diabetes und entlastet auch die Diabetes-Ambulanzen an den Spitälern“, sagt Elke Fröhlich-Reiterer, Leiterin des Bereichs Diabetes und Endokrinologie der Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz. „In der Diabetologie haben wir kein Problem mit der Zusammenarbeit zwischen Pädiater:innen und Diabetolog:innen, da beide Seiten den erhöhten Erklärungs- und Schulungsbedarf kennen und verstehen. Aber auch hier kämpfen wir um mehr Planstellen. Gerade die Jugend ist eine Zeit, in der zu den physischen und organisatorischen Herausforderungen der Krankheit noch andere Faktoren relevant werden, die den Umgang mit den medizinischen Anforderungen erschweren. Wir beobachten Insulinmanipulation, Essstörungen, Depressionen und Ängste. Hinzu kommen mögliche psychosoziale Schwierigkeiten. All das erfordert auch wieder ein starkes multidisziplinäres Team“, betont Gersina Rega-Kaun, erste Sekretärin der ÖDG und internistische Oberärztin an der 5. Medizinischen Abteilung der Klinik Ottakring. (rüm)