„Viele Leistungen können ambulant erbracht werden“

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Was bringt 2025 und wie sehen die Forderungen der Ärzteschaft aus? RELATUS MED sprach darüber mit Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart.

Wie sehen Ihre wichtigsten drei Forderungen an eine kommende Bundesregierung aus? Nur drei Forderungen werden wohl nicht ausreichen, um den aktuellen, größer werdenden Problemen in der Gesundheitsversorgung gerecht zu werden. Aber ich bemühe mich. Erstens müssen deutlich mehr Ressourcen ins Gesundheitssystem. Es muss klug investiert werden, nicht mit der Gießkanne, sondern mit Weitblick. Einsparungen wären fatal, auch wenn die angekündigten Sanierungen des aktuellen Milliarden-Budgetlochs solche befürchten lässt. Einige Baustellen müssen dringend bearbeitet werden, etwa der Mangel an Kassenverträgen, Personalknappheit in den Spitälern, oft unzumutbare Wartezeiten auf einen Termin in einer Ordination oder in einem Krankenhaus. Zweitens braucht es mehr Anreize, im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten, und zwar durch Attraktivierung der Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit. Und nicht durch Druck und Zwang, wie es von der Politik zum Beispiel bei Wahlärzt:innen immer wieder angedroht wird. Drittens der Schutz des solidarischen Gesundheitssystems vor Konzernisierung und Heuschrecken-Medizin.

Was bedeutet das konkret? Ich stehe für ein starkes und solidarisches Gesundheitssystem, für die bestmögliche Versorgung der Menschen, und für die ärztliche Freiberuflichkeit. Wir müssen unsere Patient:innen nach medizinischen Kriterien behandeln können, ohne Vorgaben von Betriebswirten und Controllern befolgen zu müssen. Zur Sanierung des Budgets Gesundheitseinrichtungen an Profit-maximierende Investoren zu verkaufen, hätte fatale Folgen für die Versorgung, das zeigen inzwischen zahllose internationale Beispiele. Über all dem schweben derzeit, nicht nur in der Medizin, die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz. Hier muss die Politik einerseits investieren, andererseits unerwünschte Entwicklungen verhindern. Die Ärzteschaft muss unbedingt die KI- und Digitalisierungs-Trends in der Medizin mitgestalten, um nicht von Industrie-Interessen überrollt zu werden.

Viele Wirtschaftsfachleute und Politiker:innen kritisieren angesichts der angespannten Budgetsituation Ausgaben im Gesundheitswesen. Steigt der Spardruck? Dass es im Gesundheitswesen einen Spardruck gibt, das ist im Wesentlichen eine Entscheidung der Politik, die sich schon vor Jahren einem so genannten Kostendämpfungspfad verschrieben hat. Dass Medizin teurer wird, müsste angesichts der demografischen Entwicklungen und der Fortschritte der modernen Diagnosen und Therapien jedem klar sein. Ebenso klar ist, dass Einsparen nur auf dem Rücken von Ärzt:innen und Patient:innen möglich ist, wie es ja auch die immer größer werdenden Versorgungslücken demonstrieren. Einsparen im Gesundheitssystem ist also eine Vorgabe der Politik, und definitiv nicht im Interesse der Menschen.

Wie sehen die Alternativen aus? Intelligentes Sparen würde zum Beispiel grundsätzlich bedeuten, dass möglichst viele Leistungen im niedergelassenen Bereich angeboten werden, und nicht in den – vergleichsweise teuren – Spitälern: Das bedeutet zum Beispiel die Aufnahme neuer Fachgruppen in den Leistungskatalog des niedergelassenen kassenärztlichen Bereichs, etwa die Nuklearmedizin, die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, die Plastische Chirurgie oder die Neurochirurgie. Weiters sollte das Motto „Digital vor Ambulant vor Stationär“ mit Leben erfüllt werden. Viele Leistungen können heute, im Unterschied zu früher, ambulant erbracht werden. Dazu zählt vor allem die onkologische Versorgung inklusive der Gabe von Chemotherapien und Untersuchungen mit dem PET CT. Zentral wäre auch eine verbindliche Patientenlenkung, sie würde das System rasch entlasten und die Finanzierung wieder auf gesündere Beine stellen. Wenn Patientinnen und Patienten sofort zur für sie optimalen Versorgung gelangen, ist das nicht nur für sie besser, es werden auch weniger Ressourcen vergeudet. Hier ist die Politik gefordert, die Weichen vernünftig zu stellen, statt die „Kosten zu dämpfen“.

Wie lässt sich der niedergelassene Bereich stärken? Kurz gesagt: Durch mehr Ressourcen und bessere Rahmenbedingungen. Das bedeutet zunächst ausreichend finanzielle Mittel für einen modernen und österreichweit einheitlichen kassenärztlichen Leistungskatalog, von dem die Versicherten profitieren würden. So einen Katalog haben wir bereits vor einigen Jahren erarbeitet und vorgestellt, seither ist allerdings wenig passiert. Am Zug ist die ÖGK, sie muss auf dieser Grundlage einen Honorarkatalog erstellen, mit Augenmaß, unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten, aber auch mit erkennbarer Ernsthaftigkeit. Eine weitere Maßnahme ist das Dispensierrecht in Arztpraxen, also ein besserer Service durch Medikamente direkt von Ärztinnen und Ärzten. Das bedeutet für Patient:innen ein Plus an Serviceleistungen im Sinne eines One-Shop-Stop. Und für Ärzt:innen eine zusätzliche wirtschaftliche Absicherung und damit Attraktivierung der Niederlassung, was gerade bei der Besetzung von Kassenplanstellen ein wichtiger Aspekt ist. Auch die zügige Implementierung von Facharztzentren wäre ein wichtiger weiterer Schritt in Richtung einer niedrigschwelligen, wohnortnahen und multiprofessionellen Versorgung unter ärztlicher Leitung. Die Finanzierung kann nach dem Vorbild der PVE-Finanzierung erfolgen. Ein wichtiges Element sind natürlich, neben zahlreichen weiteren, leistungsgerechte Honorare ohne die bestehenden Deckelungen und Degressionen. Ebenso bedeutsam sind flexiblere Kassenverträge, die den individuellen Vorstellungen und Lebensumständen von Ärztinnen und Ärzten gerecht werden. Deren berufliche Vorstellungen haben sich im Lauf der Zeit geändert, und um Ärzte gibt es heute einen internationalen Wettbewerb. Politiker und Kassenfunktionäre sollten das nicht vergessen. Mit Modellen von gestern werden wir die Gesundheitsversorgung von morgen nicht sicherstellen können. (Das Interview führte Martin Rümmele)