Nach dem Softwarefehler um falsche Dosierungsempfehlungen gehen die Wogen zwischen Ärzten und Apotheken weiter hoch. Die Ärzte orten einen Skandal, die Apotheken sprechen von „Fake News“.
Die Causa um falsche Dosierungsempfehlungen durch Apothekensoftware – Relatus berichtete – sorgt weiterhin für einen heftigen, öffentlich ausgetragenen Schlagabtausch zwischen Ärzte- und Apothekervertretern. Für Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin (BSAM) in der Österreichischen Ärztekammer, ist die Causa „nur eine von vielen Meldungen über ernste Gefahrenquellen in Apotheken.“ Das von den Apothekern immer so wichtig empfundene „4-Augen-Prinzip“ habe versagt, urteilt Wutscher. Einzig die Ärztin oder der Arzt könnten die richtige Dosierung verstehen und beurteilen. „Daher ist es vernünftig und für die Patientinnen und Patienten ideal, wenn in der Ordination auch gleich die richtigen Medikamente in der richtigen Dosierung abgegeben werden, der Patient kann sich einen weiteren, unnötigen Weg ersparen“, plädiert Wutscher für ein Dispensierrecht für alle Ärzte und für Hausapotheken.
Die Apothekerkammer wiederum sieht in der Forderung nach der faktischen Abschaffung des „bewährten“ „4-Augen-Prinzips“ bei der Arzneimittelabgabe eine große Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Patienten. Wie zwei statt vier Augen zu mehr Patientensicherheit führen können, sei ein Rätsel, das sich wohl nur Ärztefunktionären im Wahlkampf erschließe, heißt es in einer Aussendung der Apothekerkammer. Jeden Tag würden Apothekerinnen und Apotheker „unzählige ärztliche Verordnungen mit fragwürdigen Dosierungen entdecken“, die ohne großes Aufsehen mit den behandelnden Ärzten besprochen und nötigenfalls korrigiert werden, damit der Patient sicher die richtige Behandlung erhält. Gerade der aktuelle Fall rund um den Softwarefehler bei einem privaten Anbieter zeige, wie wichtig das „4-Augen-Prinzip“ von Arzt und Apotheker ist. Der Fehler sei so aufgedeckt worden. „In einem derart sensiblen Feld wie der Arzneimittelversorgung auf diese wichtige Sicherheitsstufe zu verzichten, wäre verantwortungslos. Diese Aufweichung würde die Gesundheit der Patienten massiv gefährden“, warnt Raimund Podroschko, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer.
„Für die Ärztekammer ist nicht die Zeit, daraus politisches Kleingeld zu schlagen. Besser wäre es gemeinsam mit Apothekerkammer, Dachverband der Sozialversicherungsträger ELGA GmbH und Pharmazeutischer Gehaltskasse konstruktiv die lückenlose Aufarbeitung fortzusetzen und gemeinsam zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu etablieren“, fordert Christian Wurstbauer, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer und spricht von „seitens einiger Ärztefunktionäre verbreiteten Fake-News über Apotheken“. Das flächendeckende Netz an öffentlichen Apotheken sei der einzige Garant für eine „Rund-um-die-Uhr-Betreuung und Arzneimittelversorgung“ der Menschen. „95 Prozent der österreichischen Bevölkerung können die nächste Apotheke innerhalb von zehn Minuten erreichen“, betont Podroschko.
Die Ärztekammer legt auch auf einer anderen Ebene nach und kritisiert, dass „in Apotheken gegebenenfalls auch wirkungslose Präparate abgegeben“ werden, sagt Wutscher und verweist auf den Verkauf von „informierten Salzlösungen in der Apotheke der Präsidentin der österreichischen Apothekerkammer.“ Wutscher wörtlich: „Dieselbe Apotheke, die auch Referenzapotheke für Wässerchen mit ‚gespeicherten Situationen‘ einer sogenannten ‚Sonnenhexe‘ und ihres Unternehmens ist.“ Er spielt dabei auf einen weiteren Blog-Bericht in der Zeitung „Der Standard“ an. Apothekerkammer-Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr war schon im Sommer wie berichtet ins Visier von Esoterik-Jägern geraten. Es erkläre sich von selbst, dass komplementärmedizinische Produkte unter keinen Umständen als Ersatz oder Alternative zu Arzneimitteln mit wissenschaftlich belegter Wirksamkeit empfohlen werden können, sondern jegliche Therapie nur ergänzen, betonte sie damals. Vielmehr informiere man interessierte Kunden und verweise auch an Ärzte zu genauen Diagnose und Behandlung. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, ortet dennoch „eine verheerende Außendarstellung“. „Die Apothekerkammerpräsidentin muss sich ihrer Verantwortung als oberste Standesvertreterin stellen und sich ihrer Vorbildfunktion für alle rechtschaffenden Apothekerinnen und Apotheker bewusst werden. Es braucht hier endlich eine klare Distanzierung“, fordert er. Am sichersten seien Patientinnen und Patienten immer noch bei ihren Ärzten meint er und zieht ebenfalls den Schluss: „Im Sinne der Patientensicherheit und des Patientenservice führt daher kein Weg an einem Dispensierrecht für alle Ärzte und an Hausapotheken vorbei.“ (rüm)