Die Welt-Schlaganfall-Gesellschaft und der Welt-Herz-Verband wenden sich mit einem „Weckruf“ an die Regierungen. Es gebe auch andere Gesundheitsprobleme, die man nicht vergessen dürfe. Auch andere Experten warnen davor, das Gesundheitswesen SARS-CoV-2 unter zu ordnen.
Die World Stroke Organization (WSO) und die World Heart Federation (WHF) fordern in einer gemeinsamen Erklärung im Fachblatt „The Lancet“ die Regierungen auf, drastische Veränderungen in der Gesundheitspolitik herbeizuführen. Diese sollen Fortschritte bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Prävention von Schlaganfällen erzielen. Beide Erkrankungen sind weltweit die häufigsten Todesursachen und verursachen bis 2030 voraussichtlich Kosten in Höhe von rund einer Billion Euro. WSO und WHF weisen auf einen Mangel an globalen Fortschritten hin und fordern die Regierungen auf, sich nicht weiter auf den Ansatz des individuellen Screenings klinischer Risikofaktoren zu beschränken und mehr in die Primärprävention auf Bevölkerungsebene zu investieren. SARS-CoV-2 beziehungsweise COVID-19 seien nicht alles in Sachen Gesundheit.
„Gegenwärtige Präventionsansätze haben weltweit keine signifikanten Auswirkungen auf die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall“, sagte Michael Brainin, Leiter des Departments für klinische Neurowissenschaften und Präventionsmedizin der Donau-Universität Krems und Präsident der WSO. „Das lebenslange Schlaganfallrisiko für Erwachsene beträgt global gesehen jetzt eins zu vier, verglichen mit eins zu sechs vor weniger als einem Jahrzehnt. Die weltweiten Fortschritte in der Umsetzung der Prävention sind ins Stocken geraten, was für Erkrankte enorme Kosten und für die Gesellschaft steigende Kosten mit sich bringt.“ Das Scheitern werde durch die aktuelle globale Gesundheits- und Wirtschaftskrise noch deutlicher. „Wir ermutigen die Regierungen nachdrücklich, bevölkerungsbasierte Strategien zu priorisieren, da sie die Gesundheit verbessern, widerstandsfähigere Gesellschaften aufbauen und die Erholung der Weltwirtschaft unterstützen“, fordert der Schlaganfallexperte.
„Wenn wir die vorzeitige Sterblichkeit aufgrund nicht übertragbarer Krankheiten bis 2030 um ein Drittel senken wollen, müssen wir unseren Ansatz für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfallprävention neu ausrichten“, betonte WHF-Präsidentin Karen Sliwa. „Gegenwärtige Strategien für die klinische Praxis unterstützen Menschen mit geringem und mittlerem Herz-Kreislauf-Erkrankungs-Risiko häufig nicht und halten sie davon ab, gesündere Lebensentscheidungen zu treffen. Wir müssen mehr denn je sicherstellen, dass Ansätze zur Verhinderung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht nur kostengünstig und evidenzbasiert sind, sondern auch Ungleichheiten in Behandlung und Pflege beseitigen“, erklärte die Kardiologin. Maßnahmen gegen Rauchen, körperliche Inaktivität, Ernährung und Alkohol sollten früh ergriffen werden. Bei bevölkerungsweiter Primärprävention noch bevor Erkrankungen festzustellen ist, beträgt das Kosten-Nutzen-Verhältnis eins zu elf, jeder investierte Euro käme also fast mit dem Elffachen an Gewinn zurück, betonen die Experten.
Auch der Chef des deutsche Gesundheitskonzerns Fresenius-Stephan Sturm kritisiert das Coronakrisenmanagement der Politik. Es sei ein Fehler gewesen, „alles komplett einseitig auf die Pandemie auszurichten“, heißt es in einer im Voraus veröffentlichten Rede, die Sturm auf der Hauptversammlung des Gesundheitskonzerns am 28. August halten soll. Das gelte für viele Bereiche der Gesellschaft, besonders jedoch für die Medizin. „Wir haben alles runtergefahren. Und das, obwohl die große Coronawelle gar nicht kam“, sagt Sturm mit Blick auf die 86 Krankenhäuser des Konzerns in Deutschland. COVID-19 sei zwar eine große Bedrohung. Das seien Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Krebs aber auch. (red/APA)