Die Coronavirus-Pandemie ist trotz der Entspannung in Europa noch lange nicht vorbei, warnt die WHO: Die Infektionszahlen steigen schneller als je zuvor. Dazu kommen zahlreiche Länder mit einer zweiten Welle. Auch deutsche Virologen sind besorgt.
„Die Pandemie beschleunigt sich“, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, in Genf. Am vergangenen Freitag sind innerhalb eines Tages der WHO mehr als 150.000 neue Infektionen gemeldet worden, so viele wie nie zuvor. Am Sonntag waren es bereits 183.020 neue Ansteckungen, am Dienstag erneut mehr als 150.000. Weltweit sind bereits fast 9 Millionen Menschen erkrankt und fast eine halbe Million gestorben. „Die Welt ist in einer neuen und gefährlichen Phase“, sagte Tedros. „Viele Menschen haben verständlicherweise die Nase voll davon, zu Hause zu sein. Länder wollen Wirtschaft und Gesellschaftsleben wieder öffnen. Aber das Virus verbreitet sich schnell, es ist immer noch tödlich und die meisten Menschen können sich immer noch infizieren.“ Tedros beschwor alle Menschen, weiter Distanz zu halten und die Hände häufig zu waschen sowie andere Hygienemaßnahmen umzusetzen. Alle Infektionen müssten aufgespürt und Betroffene isoliert werden.
Tatsächlich rollt allerding eine zweite Welle in vielen Ländern an. In Deutschland ist der Reproduktionsfaktor „R“ nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wieder deutlich über den kritischen Wert angestiegen. Der „4-Tage-R“ werde nun auf 2,88 geschätzt. Das sei vor allem auf lokal begrenzte Ausbrüche unter anderem auf einem Schlachthof in Gütersloh zurückzuführen. Der deutsche Virologe Christian Drosten befürchtet allerdings nach Corona-Ausbrüchen eine unbemerkte Ausbreitung des Coronavirus in die Bevölkerung. Die Verbreitung über die Hotspots hinaus zu verhindern, sei jetzt das Entscheidende, sagte der Charite-Wissenschafter am Dienstag. Generell gebe es aktuell in mehreren Orten, darunter auch in Berlin, eindeutige Anzeichen, dass SARS-CoV-2 wieder komme. „Ich bin nicht optimistisch, dass wir in einem Monat noch so eine friedliche Situation haben wie jetzt, was die Epidemietätigkeit angeht“, sagte Drosten. Die Bevölkerung müsse einsehen, dass die Gesundheitsbehörden Unterstützung und Konsens bräuchten.
Die Gesundheitsbehörden in Südkorea sehen das Land mittlerweile einer zweiten Welle der Coronavirus-Ausbreitung ausgesetzt. Ursprünglich seien sie davon ausgegangen, dass eine zweite Infektionswelle im Herbst oder Winter beginnen könnte, sagte die Direktorin der Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (KCDC), Jeong Eun Kyeong. „Unsere Voraussage erwies sich als falsch.“ Das asiatische Land war nach China zu einem der ersten Infektionsherde geworden. Es bekam das Coronavirus in der Folge aber durch ein umfangreiches Programm zur Fallverfolgung, Testung und Behandlung der Infizierten unter Kontrolle, ohne auf Ausgangssperren zurückgreifen zu müssen. Anfang Mai wurden die Abstandsregeln gelockert. Auch aus Israel werden steigende Fallzahlen gemeldet.
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, gibt sich im RELATUS-Interview ebenfalls vorsichtig. Die Pandemie sei noch nicht ausgestanden, betont auch er und rät weiterhin zur Vorsicht: „Wir wissen zwar viel mehr über das Virus als zu Beginn der Krise – auf Dauer ist die Gefahr aber noch nicht gebannt.“ (APA/red)