Die erste Entwicklung von selbst-organisierenden Herz-Organoiden am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) setzt neue Maßstäbe für die Erforschung von Herzkreislauf-Erkrankungen, angeborenen Gendefekten und Entwicklungsstörungen des Herzens.
Herzkreislauferkrankungen sind global gesehen ein enormes Problem für unsere Gesellschaft. 18 Millionen Menschen sterben jährlich in Folge einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, viele hundert Millionen Menschen sind von Herzschwäche betroffen, was nicht nur die Lebensqualität von Betroffenen senkt, sondern auch die staatliche Gesundheitssysteme belastet. Auch bei Kindern zählen angeborene Herzdefekte zu den häufigsten genetischen Erkrankungen – der Großteil aller Früh- oder Fehlgeburten scheint mit fehlerhafter Herzentwicklung in Zusammenhang zu stehen. Die Entwicklung des Herzens im heranwachsenden Menschen ist ein sehr komplexer, wie auch riskanter Prozess, den Wissenschaftler bis jetzt nur unzureichend erforschen konnten.
Eine Stammzell-Technologie, die am IMBA entwickelt wurde, ermöglicht nun neue Einblicke in die menschliche Herzentwicklung: Pulsierende, kleine Herzmodelle aus Stammzellen wachsen scheinbar spontan in der Petrischale heran und zeigen die Entwicklung des Herzens in der Embryonalphase: Aus wenigen Stammzellen bildet sich eine herzähnliche Struktur mit verschiedensten Zelltypen, Herzwand und Kammern, wie das Fachmagazin „Cell“ aktuell berichtet.
Der IMBA Gruppenleiter und korrespondierende Autor der Studie, Sasha Mendjan, verfolgt einen Ansatz, der sich maßgeblich von sogenannten „Tissue Engineering Methoden“ unterscheidet. Bei diesen Methoden wird ein Gerüst aus Polymeren zusammengebaut und mit verschiedenen Herz-Zelltypen besiedelt. Als Krankheitsmodell eignet sich dies aber nur bedingt. Der IMBA-Gruppenleiter setzt vielmehr auf die Selbstorganisation von Zellen: „Wenn man von „Tissue Engineering“ spricht, dann ist es so, als würde man einen Baum aus verschiedenen Teilen zusammenbauen. Mit unserer Methode versuchen wir, den Baum von selber wachsen zu lassen, so wie es der Natur entspricht. Gerade für die Entstehung von Krankheiten können wir enorm viel lernen, wenn es uns gelingt, das Zusammenspiel der Zellen während der Entwicklung zu verstehen“, so Mendjan. Um ein Herz-Organoid wachsen zu lassen, verwenden die Forscher iP Stammzellen, die ethisch unbedenklich aus Blut oder Hautproben gewonnen werden können. Im Nährmedium können sie sich zu drei Zellschichten, den Keimblättern, formieren.
Ein entscheidender Punkt für die Entwicklung des Herzens ist die Ausbildung der Herzkammern, deren Missbildungen zu angeborenen Herzfehlern führen. Das Team konnte nachweisen, dass Mutationen eines bestimmten Gens namens Hand1 zu Missbildungen der linken Herzkammer führen, einem der am häufigsten angeborenen Herzdefekte. „Wir konnten dank unserer Technologie ein Rätsel lösen, das Entwicklungsbiologen seit über 50 Jahren beschäftigt, nämlich welche biochemischen Signale der verschiedenen Zellen die Herzentwicklung steuern. Da sich das Herz sehr schnell entwickelt, war es mit Tiermodellen bisher nicht möglich, in einem bestimmten Zeitfenster der Entwicklung ganz gezielt Mutationen herbeizuführen und deren Wirkung zu untersuchen. Die Herz-Organoide spiegeln typisch menschliche genetische Eigenschaften wider und erlauben uns, Krankheitsentstehung am Herzen bereits während der Entwicklung zu untersuchen, was bisher nicht möglich war“, schildert Mendjan. (red)
Originale Publikation:
Hofbauer P, Jahnel SM, Papai N, et al., “Cardioids reveal self-organizing principles of human cardiogenesis”, Cell, 2021. DOI: 10.1016/j.cell.2021.04.034
https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(21)00537-7