Die Regierung plant offenbar nun doch die Einführung der Wirkstoffverschreibung. Das bestätigen Verhandler aus ÖVP-Kreisen gegenüber RELATUS MED.
Lange wurde darüber diskutiert, 2008 gab es bereits unter der damaligen Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) einen konkreten Umsetzungsplan, der damals am Widerstand der Ärzteschaft scheiterte und in der Folge auch die damalige Regierung. Jetzt ist die Wirkstoffverschreibung zurück und diesmal soll ihre Einführung gelingen. Zumindest wenn es nach den Vorstellungen der Koalition aus ÖVP und Grünen geht. Doch auch diesmal macht die Ärztekammer mobil. Die von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) geplanten Änderungen im Gesundheitsbereich im Rahmen des Finanzausgleichs, darunter eben auch die Wirkstoffverschreibung, sind aus Sicht der Ärztekammer als Interessensvertretung eine völlig inakzeptable Breitseite gegen die österreichischen Ärzt:innen.
„Minister Rauch hat einen Gesetzesentwurf präsentiert, in dessen Entstehen die Ärztekammer in keiner Weise eingebunden war – obwohl wir im höchsten Maße davon betroffen sind“, merkt Steinhart an. Das zentrale Ziel der geplanten Regelungen sei evident: „Ärztinnen und Ärzte sollen künftig bei der Planung und Gestaltung der Gesundheitsversorgung nicht mehr mitreden können. Minister Rauch kündigt damit die jahrzehntelang bewährte Sozialpartnerschaft in der Gesundheitsversorgung auf“, so der ÖÄK-Präsident. „Und jetzt soll der Beschluss auf Biegen und Brechen ohne eine Begutachtungsphase durch den Ministerrat gepeitscht werden. In Zukunft will man es sich leichter machen, und deshalb wollen Politik und Sozialversicherungen das alleinige Sagen haben. Folgerichtig war die Ärztevertretung auch bei den Plänen des Gesundheitsministers nicht eingebunden, die Wirkstoffverschreibung per Gesetz einzuführen“, resümierte Steinhart: „Mit unseren Einwänden gegen dieses Prinzip der Medikamentenvergabe, vor dem nicht nur wir als Ärztevertretung seit vielen Jahren warnen, sondern auch pharmakologische und andere Experten, will sich der Minister offensichtlich lieber nicht auseinandersetzen.“
Die einzigen, die von einer Wirkstoffverschreibung wirklich profitieren würden, wären die Apotheken, sagt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, anhand konkreter Beispiele. „Die Behebung von Engpässen oder die Entlastung des Gesundheitssystems sind Scheinargumente. Es geht ausschließlich um Lobbying und wirtschaftliche Interessen der Apotheken“, hielt Wutscher fest. Die Entscheidung des Apothekers, welches Produkt er abgibt, würde durch Gesichtspunkte wie Einkaufskonditionen und Rabatte beeinflusst werden. Gerade in einem Land wie Österreich, das im Medikamentensektor ohnehin schon als Billigpreisland gilt, könnte das fatale Folgen für die generelle Medikamentenversorgung haben, warnte Wutscher.
Die mögliche Einsparung, die vor allem seitens der Sozialversicherung in diesem Zusammenhang immer wieder ins Treffen geführt werde, sei angesichts des engen österreichischen Preisbandes vernachlässigbar, meinte Ernst Agneter, Pharmakologe und Inhaber des Lehrstuhles für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität. Durch die heimische Regelung des Erstattungskodex, in dem die Preise ohnehin zugunsten der Sozialversicherungen geregelt würden, – ein österreichisches Alleinstellungsmerkmal -, sei auch der internationale Vergleich hinfällig. Zudem müsste auch vorgeschrieben werden, dass durch Apotheker:innen nur die günstigste Arzneispezialität des jeweiligen Wirkstoffes abgegeben werden dürfe – und das hätte einen gravierenden Nachteil und würde zu einer akuten Versorgungsgefährdung führen, so Agneter: „Die Preise können einmal im Monat geändert werden. Wenn nur die günstigste Arzneispezialität abgegeben werden darf, dann muss diese in diesem Monat 100 Prozent des Marktes abdecken – ohne Planungssicherheit.“ Man würde „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“, so Agneter. Auch in puncto Versorgung brächte die Wirkstoffverschreibung keinerlei Verbesserung. Das könne man gut an den Ländern beobachten, in denen sie gilt. Dort sei die Versorgung mit Arzneimitteln keinesfalls besser, teilweise sogar schlechter gewesen. „Die Einführung einer Wirkstoffverschreibung geht schief“, lautete Agneters Conclusio.
Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin und Obfrau der Kurie der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Wien, sieht zudem ein unterschätztes Sicherheitsrisiko: „In meinem beruflichen Alltag als Allgemeinmedizinerin erlebe ich es immer wieder, dass unterschiedliche Medikamente mit demselben Wirkstoff aufgrund anderer Zusatzstoffe unterschiedlich gut vertragen werden. Als Ärztin, die ihre Patientinnen und Patienten teils seit vielen Jahren kennt, überlege ich mir daher ganz bewusst, welche Medikamente ich verschreibe. Diese fachkundige Entscheidungsfreiheit ist essenzieller Teil der ärztlichen Therapie.“ Wirklich gefährlich werde es dann, wenn Medikamente falsch dosiert werden, weil sich das gewohnte Aussehen oder die Namen der Tabletten geändert haben und es zu Verwechslungen kommt, erklärt die Allgemeinmedizinerin. (red)