Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Medizin und Forschung? Im RELATUS-MED-Interview skizziert Wissenschaftsminister Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann seine Zwischenbilanz und nimmt Stellung zu aktuellen Reformideen an den Medizinuniversitäten.
Welche Bilanz ziehen Sie bisher zur Coronakrise? Wir haben während der Krise gesehen, dass unser Gesundheitssystem grundsätzlich gut aufgestellt ist. Wir haben Reservekapazitäten, die vorher von vielen als zu groß kritisiert wurden, die aber in der Krise sehr sinnvoll waren und sind. Dazu kommt, dass Forschende an den österreichischen Hochschulen in unterschiedlichsten Bereichen einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geleistet haben und noch immer leisten. Vor diesem Hintergrund sowie aus Gründen der längerfristigen hochqualitativen Gesundheitsversorgung wollen wir auch einen strategischen Schwerpunkt auf das wissenschaftliche Fundament des österreichischen Gesundheitssystems legen und haben dazu ein Impulsprogramm zur Stärkung der medizinischen Forschung und Ausbildung in Österreich aufgelegt.
Wie sieht das genau aus? Das nennt sich „Uni-Med-Impuls 2030“ und ist ein Zehn-Punkte-Programm zur Weiterentwicklung der Medizinuniversitäten sowie der medizinischen Fakultät Linz. Kern sind der Ausbau der Medizinstudienplätze, die Attraktivierung der Allgemeinmedizin, neue Professuren, der Ausbau der Infrastruktur, ein Fokus auf Public Health, Epidemiologie und Infektiologie sowie E-Learning im Medizinstudium. Wir sehen auch die Notwendigkeit, die rechtlich regulatorischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Dabei geht es um die Sicherstellung passender Bestimmungen zur Ärztearbeitszeit unter Berücksichtigung von Gesundheitsversorgung, Lehre und Forschung.
Stichwort „Allgemeinmedizin“: Aktuelle Umfragen zeigen, dass viele Ärzte ans Aufhören denken. Auch eine Pensionierungswelle steht altersbedingt an. Wie kann man die hausärztliche Versorgung stärken? Sie sprechen ein wichtiges Thema an. Die allgemeinmedizinische Versorgung der Bevölkerung durch den Hausarzt, künftig vielleicht durch den Facharzt für Allgemeinmedizin, ist im Regierungsprogramm verankert. Was haben wir vor? Wir wollen die Ausbildungssituation für Allgemeinmedizin an den Universitäten stärken und auch die Anzahl der Studienplätze erhöhen. Wir wollen aber auch die Attraktivität der postpromotionellen Ausbildung stärken, auch um die Abwanderung ausgebildeter Medizinerinnen und Mediziner zu reduzieren. Das können wir aber nicht allein. Für die Attraktivität der postpromotionellen Ausbildung ist nicht mein Ministerium verantwortlich, sondern Gebietskörperschaften, Ärztekammer und Krankenkassen.
Kritiker sagen, dass es ausreichend Ärzte gibt, sie aber nicht dort sind, wo sie gebraucht werden. Die Kritiker haben nicht unrecht. Wir haben im internationalen Vergleich und bezogen auf die Einwohnerzahl viele Studierende und ausgebildete Ärztinnen und Ärzte. Und wir beobachten dennoch eine Ausdünnung der medizinischen Versorgung in den ländlichen Räumen. Dies zu verhindern, ist notwendig, aber vielschichtig und sicherlich nicht nur durch eine Maßnahme zu beheben.
Wie soll das gehen? Man kann an so genannte „Landarztstipendien“ denken. Das heißt: Der Bezug eines Stipendiums während des Studiums ist mit einer Verpflichtung nach dem Studium verbunden. Rechtlich ist das möglich. Zuständig dafür sind aber die Länder, mit denen wir darüber auch sprechen. Denkbar sind aber auch finanzielle Starthilfen, die für die Eröffnung oder Übernahme einer Ordination im ländlichen Raum gewährt werden. Abermals geht es um das Schnüren von Paketen mit unterschiedlichen Maßnahmen und Finanzierungen.
Länder wie Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg ziehen selbst eine Medizinerausbildung hoch. Kann das die Wende bringen, oder wird man am Ende sagen: „Außer Spesen nichts gewesen.“? So drastisch würde ich es nicht sehen. Natürlich hilft die Ausbildung vor Ort, dass man nachher auch dortbleibt. Das gilt auch für die vielgeschmähten deutschen Studierenden, die nicht alle zurückgehen, sondern sich in Österreich vielleicht verlieben, heiraten, eine Familie gründen und sich hier niederlassen. Letzteres zeigt natürlich auch, dass wir keine technokratische Koppelung zwischen Studienplätzen und medizinischer Versorgung vornehmen können.
Sie wollen die Ausbildung aber ausbauen – auch auf Druck der Länder? Ein kontinuierlicher, qualitätsorientierter Ausbau der Medizinstudienplätze erscheint mir sinnvoll. Die alternde Gesellschaft wird ein Mehr an medizinischer Versorgung benötigen. Ich möchte gerne die Zahl der Studienplätze für Erstsemestrige auf zumindest 1.900 steigern. Damit die Ausbildung weiterhin zielorientiert stattfinden kann, müssen wir die Zahl der Professuren steigern und werden dafür auch höhere Budgets bereitstellen. Beim Ausbau möchte ich besonders auf innovative, interdisziplinäre oder strategisch relevanten Medizinbereiche achten.
Das Interview führte Martin Rümmele