Eine Tote klagt an. Brutale Morddrohungen haben eine junge Hausärztin in den Tod getrieben. Das muss ausreichend betrauert, aber auch schonungslos aufgeklärt werden.
Die Corona-Pandemie hat mehr als 20.300 Menschenleben in Österreich gekostet. Jedes einzelne davon ist eines zu viel. Die Pandemie hat noch viel mehr Menschen massiv belastet – körperlich und psychisch. Vieles hätte verhindert werden können und müssen. Darüber müssen wir reden, das müssen wir – und das sind wir den Opfern schuldig – analysieren und wir müssen Wege finden, das künftig besser zu machen. Am Freitag ist ein Todesopfer auf besonders tragische Weise dazugekommen. Eine junge Hausärztin, die den Hass von fanatischen Impfgegnern und Corona-Leugnern nicht mehr ertragen hat. Sie selbst hat sich mit Leibeskräften bemüht, andere Corona-Todesfälle und Erkrankungen zu verhindern und Menschen in der Pandemie zu helfen. Und das gegen viele Widerstände.
Damit und mit ihrem Auftreten war sie vielen unangenehm und lästig – nicht nur jenen, die sie mit widerwärtigen, ekelhaften und brutalen Drohungen eingeschüchtert haben. Vielleicht haben auch deshalb viele weggesehen und gehofft, dass sich die Sache beruhigt. Das hat sie leider nicht. Auch dagegen hat die Ärztin angekämpft und damit auch all jenen Ärzt:innen und anderen Gesundheitsbeschäftigten, die bedroht worden sind und werden ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Dass sie dabei allein gelassen worden ist, hat sie wohl letztlich auch gebrochen. All das ist entsetzlich, beschämend und unglaublich traurig. Und es wird jetzt eine Zeit der Trauer benötigen, es braucht aber auch eine Zeit der Aufarbeitung. So etwas darf nie wieder passieren. Egal wo. Und schon gar nicht im Gesundheitswesen. Schon gar nicht in einem Bereich, wo Menschen sich bis an die Grenzen der Belastung für die Gesundheit anderer Menschen einsetzen und dafür bedroht werden.
Dazu ist jeder und jede gefordert. Es gilt aufzuarbeiten, warum die Ärztin nicht ausreichend Schutz bekommen hat, warum jene, die sie verfolgt haben nicht ausgeforscht werden und warum nicht alles getan wird, um Hass im Netz zu verhindern. Denn es geht nicht darum, wie jetzt viele beschwichtigend sagen, bedrohten Menschen psychischen Schutz zu geben. Es geht darum, die Drohungen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu stoppen. Und wenn diese Mittel nicht ausreichen, dann müssen wir sie endlich schaffen oder verschärfen!
Es soll sich aber auch jeder und jede fragen, was im eigenen Bereich passiert ist. Reden wir hier also über die Medien: Viele haben unter dem Schlagwort der Meinungsfreiheit und der ausgewogenen Berichterstattung auch dem Hass immer wieder eine Bühne gegeben. Oft weil uns der öffentlich ausgetragene wissenschaftliche Diskurs fachlich überfordert hat. Das hat die Kritiker stark gemacht und ermuntert. Wir haben von Spaltung der Gesellschaft geredet, obwohl nur eine Minderheit sich gegen Corona-Maßnahmen stark gemacht hat. Das hat diese Minderheit in ihrer Ablehnung bestärkt. Wir haben oft objektive Berichterstattung vermischt mit eigener Meinung. Das hat zu selektiver Wahrnehmung und Berichterstattung geführt und Unabhängigkeit vermissen lassen. Wir haben Expert:innen wiederholt in die Öffentlichkeit gezerrt, um Quote zu machen. Wir haben Informant:innen nicht ausreichend geschützt. Wir haben – auch nach dem Tod der Ärztin – auf einfache Grundregeln, wie das Recht auf Anonymität vergessen.
All das muss im Medienbereich aufgearbeitet werden. Genauso wie andere Bereiche ihr Tun hinterfragen müssen. Wir alle haben – als Gesellschaft, als Institutionen, als Politik, als Behörden und Medien im Fall der jungen Ärztin weggesehen. Jetzt geht es darum hinzusehen, damit so etwas nie wieder passiert. Das sind wir ihr und allen anderen, die bedroht werden, schuldig! (rüm)