Gewerkschafter Edgar Martin (younion) erklärt im RELATUS-Interview, warum Ärzt:innen oft im Ruhestand erkranken und wieso Verpflichtungen von Jungmediziner:innen wenig Sinn machen.
Jungen Menschen wird oft vorgeworfen, sie wollen nicht arbeiten. Können Sie das bestätigen? Jungmediziner:innen wollen anders arbeiten – und das ist legitim. Das Konzept der Work-Life-Balance hat voll eingeschlagen. Wer jetzt mit der Ausbildung fertig ist, möchte neben dem Arbeitsleben noch Zeit für das eigene Sozialleben haben, setzt Wert auf Nachhaltigkeit im Job und ein familienfreundliches Arbeiten. Auch Digitalisierung spielt eine große Rolle. Das konsequente Einfordern anderer Arbeitsbedingungen gleichzusetzen mit „nicht arbeiten wollen“ ist hier falsch. Vor allem ältere Generationen vergessen dabei manchmal, wie es ihnen beim Einstieg ins Berufsleben gegangen ist und dass beispielsweise eine 25-Stunden-Schicht für Assistenzärzt:innen wesentlich anstrengender ist, als für Chefitäten. Der Druck kommt meist von oben. Umfragen von uns zeigen, dass Dienstältere hier auch eine ambivalente Einstellung haben.
Inwiefern? Bei einer Umfrage vor rund einem halben Jahr ist herausgekommen, dass ältere Generationen denken, dass die Belastung zu hoch ist. Aber gleichzeitig haben sie angegeben, dass das wichtig ist. Das macht wenig Sinn. Vor allem wenn man bedenkt, dass viele Ärzt:innen in der Pension schwerkrank werden. Wer sich jahrzehntelang im Job verausgabt, wird das irgendwann spüren. Junge wollen das nicht mehr – und zwar nicht nur im Spital, sondern auch im niedergelassenen Bereich. Deshalb entscheiden sich viele Jungmediziner:innen lieber für eine Wahlordination.
Um dem Personalmangel entgegenzuwirken und junge Leute in das (öffentliche) Gesundheitssystem zu bringen, braucht es also ein Umdenken. Kommt das bei den Arbeitgebern an? Teilweise schon. Vor allem große Betriebe wie der Wiener Gesundheitsverbund setzen vermehrt auf Employer Branding und versuchen Personal mit Benefits wie Kinderbetreuung, leistbarem Wohnraum und nachhaltiger Mobilität zu bekommen. Heute sind es die Arbeitgeber, die sich bewerben müssen, und das wird vielen immer mehr bewusst. Was wirklich schräg erscheint ist die Verpflichtung für ein bestimmtes Fach. Da weiß ich nicht, wie das gehen soll. Ich würde also sagen: Maßnahmen wie Verpflichtungen von Absolventen im Gegenzug für während des Studiums erhaltene Stipendien sind nicht neu und können durchaus einen Teil zur Gesamtlösung beitragen. Wie allerdings Verpflichtungen für ein bestimmtes Fach bzw. Mangelfach aussehen sollen, muss man sich genau anschauen. Wer weiß zu Beginn schon, in welchem Fach man gerne arbeiten möchte? Und was, wenn es einem nicht gefällt?
Was kann also Ihrer Meinung nach akut beziehungsweise langfristig helfen? Dass immer mehr Arbeitgeber bei den Gehältern nachjustieren, administrative Kräfte einsetzen und sonstige Benefits bieten ist ein guter Anfang. Man sollte außerdem viel mehr auf ältere Beschäftigte zugehen, die gerne im System bleiben wollen. Sie könnten als Mentor:innen bleiben und Berufseinsteiger:innen zur Seite stehen, denen oft die Unterstützung durch Zeitmangel bei den für ihre Ausbildung Verantwortlichen fehlt. Jungmediziner:innen könnten so echte Ansprechpersonen, deren Mentoring-Arbeit abgegolten wird, bekommen – nicht im Tagesgeschäft, aber darüber hinaus. (Das Interview führte Katrin Grabner)