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Der Biochemiker, Patentanwalt und OGH-Richter Daniel Alge ist seit kurzem Präsident der Bundeskonferenz der Freien Berufe. Im Sommergespräch spricht er über Rahmenbedingungen für Ärzt:innen und den Spardruck im System.
Bei Ihrem kürzlich erfolgten Amtsantritt haben Sie den Status der Freien Berufe als gefährdet bezeichnet. Wieso? Als Gefährdung empfinden wir eine Vielzahl an Liberalisierungsbestrebungen der Regierung, aber auch seitens der EU. Unser Berufsethos erlaubt keine Verwässerung beziehungsweise Aufweichung unserer Prinzipien, Leistungsportfolios und vor allem Qualitätsansprüche an uns selbst und unsere Mitarbeiter:innen. Vielfach werden wir mit neuen Verordnungen oder Gesetzesentwürfen konfrontiert, denen es an Expertise – vor allem seitens der Freien Berufe – fehlt und diese müssen dann in langwierigen Verhandlungen nachgebessert beziehungsweise überarbeitet werden. Vermehrt finden auch direkte Eingriffe in unsere Kompetenzbereiche statt, die mehr schaden als nützen. Beste Beispiele dafür sind die Diskussionen rund um den Mangel an Ärzt:innen, Verpflichtungen der Wählärzt:innen, Ausbildung der Ärzteschaft, zwangsweise Schaffung der Möglichkeit von Fremd-Investoren für human-, zahn- oder tierärztliche Praxen, ziviltechnische und Architektur-Büros, patentanwaltlich tätige Kanzleien, usw.
Wo braucht es für Freie Berufe Änderungen oder Verbesserungen? Wir erfahren seitens der Regierung und Entscheidungsträgern eine zwiespältige Behandlung. Einerseits werden wir für unsere rasche Lösungskompetenz, Aktivitäten und Servicebereitschaft in Krisenzeiten angefordert und gelobt, aber anderseits werden wir bei der Abgeltung und dem Ausgleich unserer Leistungen als zu selbstverständlich angesehen und es wird auf uns bei Zuschüssen oder Förderungen „vergessen“. Verbesserungswürdig ist eindeutig, dass man unsere Expertise im Vorfeld einholt beziehungsweise überhaupt direkt mit uns Kontakt aufnimmt, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Im ärztlichen Bereich wird etwa diskutiert, dass Ärzt:innen nach dem Studium verpflichtet werden sollen, eine Zeitlang im Kassensystem zu arbeiten bzw. Stipendien angeboten, die eine zeitweise Verpflichtung beinhalten – was halten Sie davon? Zwang passt mit dem Begriff „Freie Berufe“ nicht zusammen, daher sind solche Überlegungen grundsätzlich abzulehnen. Schon jetzt erbringen die Turnusärzt:innen einen „Quasi-Staatsdienst“ im Rahmen ihrer Ausbildung und leisten somit wertvolle Leistungen für die Allgemeinheit. Es braucht hier generell mehr Zug statt Druck. Wenn sich die Bedingungen im Kassenbereich verbessern, werden Ärzt:innen auch wieder vermehrter Kassenverträge annehmen. Umfragen der Ärztekammer haben ergeben, dass ein nicht unerheblicher Anteil an Wahlärzt:innen bereit wäre, einen Kassenvertrag zu nehmen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Über ein Stipendienmodell, für das sich angehende Ärzt:innen freiwillig entscheiden können, kann sicher geredet werden. Aber auch hier gilt, dass gleichzeitig unbedingt das Arztsein als solches attraktiver werden muss. Die neue Generation an Ärzt:innen wünscht sich zum Beispiel flexiblere Kassenverträge und mehr Zeit für ihre Patient:innen. Und genau dem muss Folge geleistet werden, denn sonst brauchen wir uns nicht wundern, wenn unsere besten Köpfe ins Ausland abwandern.
Wie beurteilen Sie den Ökonomisierungsdruck im Gesundheitswesen bzw. Sparbemühungen und Optimierungen? Der demographische Wandel mit einer zunehmend alternden Gesellschaft stellt uns vor die Herausforderung, dass immer mehr Menschen Pflege- und Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Um mehr Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, braucht es effiziente Strukturen: Digitalisierung, interdisziplinäre Zusammenarbeit oder Standardisierung von Verfahren, um hier nur drei Beispiele zu nennen. Ökonomisierung muss immer zu einer Optimierung unseres Gesundheitssystems führen und darf nicht Personalmangel oder langes Warten bedeuten. Eine Optimierung im Sinne von Verbesserung sollte prinzipiell jeder Beteiligte im Gesundheitssystem anstreben. Leider wurde das Wort in den vergangenen Jahren immer mit Einsparungen und den sogenannten Kostendämpfungspfaden in Zusammenhang gesetzt. Die Folge war das Gegenteil von Optimierung. Das liegt daran, dass das Gesundheitssystem keine Schraubenfabrik ist, wo man die Produktion klar nach Kosten und Absatzzahlen bewerten kann – Gesundheit und der Umgang mit Menschen funktionieren deutlich komplexer. Daher ist ein ständiger Ökonomisierungsdruck fehl am Platz.
Wie könnte man der Ökonomisierung gegensteuern? Wir wollen keine Entwicklungen wie in einigen europäischen Ländern, wo Patient:innen als Investment gesehen werden, das sich lohnen kann oder auch nicht. Auch sozial schwächer gestellte Patient:innen müssen sich auf das österreichische Gesundheitssystem jederzeit verlassen können, weshalb die Einbindung von Konzernen – oder allgemein: Fremdinvestoren, deren Hauptinteressen ökonomisch geleitet werden – in die Primärversorgung – wie teilweise gefordert – unbedingt eine Absage erteilt werden muss. Der Staat muss sich klar dazu bekennen, seinen Bürger:innen eine Gesundheitsversorgung am letzten Stand der Wissenschaft zu bieten, die sich jederzeit, in jedem Lebensabschnitt danach richtet, was die Medizin leisten kann. Dazu braucht es mehr Geld im System und auch eine Stärkung von Präventionsmaßnahmen – das wäre eine echte Optimierung.
Wie stark ist das Bewusstsein für den Freien Beruf bei Vertreter:innen Freier Berufe verankert? Bereits mit der gezielten Berufswahl für einen Freien Beruf hat man einen klaren Schritt für das Bewusstsein, in und für einen Freien Beruf zu arbeiten, gesetzt. Die stetige wachsende Zahl der Mitglieder der Freien Berufsstände zeigt, dass man gerne mit und für Menschen arbeitet, um deren Visionen, Ideen und Vorstellungen auch tatsächlich wahr werden zu lassen.
Wie wichtig ist es, dass Ärzt:innen und Apotheker:innen freie Berufe sind? Als Freie Berufe sind wir im Rahmen unserer Berufsausübung frei von Beeinflussung durch Dritte – das gilt für Ärzt:innen, sowie für Apotheker:innen, aber auch für alle Freien Berufsstände gleichermaßen. Hier gibt es keine Einschränkung im Hinblick auf einzelne Berufsstände, sondern für uns gilt konstitutiv für unsere freiberufliche Arbeit die fachliche Unabhängigkeit, die eigenverantwortliche Leistungserbringung nach bestem Wissen und Gewissen und die persönliche Haftung.
Nur zu Klärung: Was zeichnet einen Freien Beruf überhaupt aus? Wir erbringen Leistungen im öffentlichen Interesse: Aufgrund dieses Gemeinwohlbezugs nehmen wir eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft ein. Wir erbringen geistige, technische, rechtliche, planerische, gesundheitsrelevante und vor allem maßgeschneiderte Dienstleistungen. Die Freiheit der Berufsausübung begründet sich einerseits in der historisch erkämpften Freiheit vom Staat und andererseits in der Unabhängigkeit von Dritten. Diese Dienstleistungen haben gleichzeitig essentielle Interessen unserer Mandant:innen, Patient:innen, wie Gesundheit, Recht oder Eigentum zum Gegenstand und betreffen somit oft deren beruflichen oder privaten Existenzgrundlagen. Die Ausübung setzt eine akademische Ausbildung mit einer bestimmten Praxiszeit samt Qualifikationsnachweis für die praktische Ausübung des Freien Berufes voraus.
Und die Standesvertretungen? Die Kammern der Freien Berufe sind gesetzlich eingerichtete Körperschaften öffentlichen Rechts. Sie sind nicht nur zur Selbstverwaltung des Berufsstandes berufen, sie haben auch den gesetzlichen Auftrag, für ihre Mitglieder Berufsausübungsregeln zu erlassen und Verstöße gegen diese über die für herkömmliche Unternehmen normale Schadenersatzmöglichkeiten des Zivilrechts hinaus standesrechtlich zu sanktionieren – zum besonderen Schutz unserer Mandant:innen und Patient:innen.
Das inkludiert aber auch Pflichten? Auch diese sind maßgeblich zum besonderen Schutz unserer Mandant:innen sowie Patient:innen vorgesehen und definiert worden. So wird eine Vielzahl von Leistungen persönlich in einem Vertrauensverhältnis zu denjenigen, die unsere Dienste in Anspruch nehmen erbracht. Daher sind allen voran die Verschwiegenheits- und Treuepflichten am wichtigsten und stellen das Fundament der Tätigkeitsbereiche der Freien Berufe dar. Ärzt:innen und Apotheker:innen sind die persönlichen Vertrauten, wenn es um ein zentrales Gut unseres Lebens geht – um die Gesundheit. Hier bedarf es daher besonders großer und kompetenter Sorgfalt, die durch die Rahmenbedingungen, die ein Freier Beruf bietet, gewährleistet werden kann. (Das Interview führte Martin Rümmele)